Fehltritt Im Siebengebirge
wo ich zu erreichen bin. Marianne, ich habe Angst um Sie!«
Die Leitung blieb eine Weile stumm. Langsam und zögernd formulierte sie den Satz: »Ich will es mir überlegen.«
»Marianne«, drängte Freiberg noch einmal. »Ich weiß, Sie haben Angst. Sie fürchten sich vor etwas. Wollen Sie mir nicht sagen, wo Sie sind? Ich komme sofort.«
Wieder das lange Zögern. »Nein, besser nicht. Schlafen Sie weiter, Herr Kommissar.«
Sie hatte aufgelegt.
Freiberg sprang aus dem Bett und verhedderte sich in den Kleidungsstücken, die auf dem Boden lagen. Er stolperte gegen den Tisch und fluchte. Seine erste Reaktion war: anziehen und ab ins Präsidium. Doch wie sollte das weiterhelfen? Bonn schlief, und Marianne Richter hatte sich irgendwo zwischen den dreihunderttausend Menschen der Stadt versteckt, unter einem Dach, das er nicht kannte.
Sein nächster Gedanke war: Lupus. Sein Kollege und Freund hatte vielleicht eine Idee. Sinnloser Aktionismus war schließlich die richtige Überlegung. Freiberg fühlte sich dabei sogar erleichtert. Sollte der Lupus sich ausschlafen. Morgen ist vielleicht der Tag der Erkenntnis – morgen mußten alle ihren Verstand beisammen haben.
Damit legte er sich wieder ins Bett. Aber seine Gedanken schlugen Purzelbäume. Er warf die Decke zurück, knipste die Leselampe an und griff zum Telefon. Die Leitstelle meldete sich. Auf seine Frage, ob die Fahndung etwas erbracht habe, antwortete der Beamte vom Schichtdienst: »Nein, nichts. Wir haben eine immer noch ungewöhnlich ruhige Nacht.«
»So, so, also nichts! Na, dann müssen wir abwarten. Rufen Sie mich sofort an, wenn irgend etwas passiert, was mit dem Fall Klatte und unserer Fahndung nach Guido Siemann zu tun haben könnte, oder wenn mysteriöse Schlägereien oder Unfälle passieren. Auf alle Fälle gebt mir kurz nach sieben eine Zwischenmeldung, auch wenn sich nichts getan hat. Gute Nacht!«
Nun galt es, noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Vielleicht würde ihm, wie schon so oft, die PT-Atmung helfen: einatmen, verzögert ausatmen, Pause – einatmen, verzögert ausatmen, Pause. – Das fünf-, sechsmal, und seine Spannung baute sich ab. »Dieser Dummkopf Siemann, wenn man den nur vor sich selbst schützen könnte«, war sein letzter Gedanke, bevor er einschlief.
Marianne Richter stand in der zweiten Etage des Hotel garni hinter der Gardine am Fenster und sah auf den Münsterplatz hinunter. Das bleiche Licht der kunstvoll geschmiedeten Kandelaber leuchtete die weite Fläche gerade noch aus. Am Rande der leeren Traurigkeit blickte der erzene Beethoven von seinem Sockel auf zwei späte Zecher, die in Richtung Bahnhof strebten. Ihr Gesang konnte seine tauben Ohren nicht kränken.
»Zu des Meisters Füßen wird sich morgen mein Schicksal entscheiden«, dachte Marianne. »Hier oben werde ich warten und sehen, wer kommt. Vielleicht läßt sich auch von hier aus erkennen, ob noch jemand in der Menge lauert, die dem Platz am Tage das Leben verleiht. – Dann werde ich hinuntergehen. Hoffentlich ist alles schnell erledigt. Zur Hauptpost sind es nur wenige Schritte. Wenn er sein Wort hält, werde ich es auch tun. – Ich wollte, ich wäre zwölf Stunden älter.«
Sie zog den Vorhang zu und legte sich in das schmale Bett und dachte nur noch: »Bei dem Geschäft kann mir der Kommissar wirklich nicht helfen.«
Kapitel 17
Nach drei Minuten leiser Musik, die er nur im Unterbewußtsein wahrgenommen hatte, ließ ein Hupton Kommissar Freiberg hochfahren. Ihm war nicht bewußt, daß er den Radiowecker auf 7 Uhr eingestellt hatte. Seine Hand drückte den Knopf nieder, und der Ton verstummte. Nach einer Minute setzte das Geheul wieder ein. Jetzt streckte er energisch den Zeigefinger auf die Taste und drückte »Signal aus«. Die Weckautomaten mochten für Schwerhörige erfunden worden sein. Freiberg schwang die Füße über die Bettkante, stand kurz auf und holte das Telefon an der Viermeter-Schnur heran. Er wollte den Anruf der Einsatzleitstelle nicht abwarten und sofort wissen, ob die Nacht für CEBI neue Erkenntnisse gebracht hatte. »Nein, für das Erste K. nichts«, sagte ein Beamter der Frühschicht. »Mehrere Unfälle, Spätheimkehrer verprügelt seine Frau, Autodiebstähle und ein paar Villenknacker in Bad Godesberg. Drei davon haben wir erwischt. Auf dem alten Friedhof hat sich ein halbes Dutzend Stadtstreicher erst besoffen und dann geprügelt. So richtig böse sind die Kerle meist nicht. Ein Streifenwagen hat genügt,
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