Feind aus der Vergangenheit
unverschämt. „Keine
Feindschaft mehr, ja? Ich bin nicht mehr Ihr Angestellter und vorbei ist
vorbei.“
Was will dieser Mistkerl? dachte
Dieter. Legt er’s darauf an, daß ich ihn rausschmeiße?
„Daß Sie sich entschuldigen,
Casseur, wäre nicht nötig gewesen.“
„Aber es ist mir ein
Herzensbedürfnis. Ehrlich!“ Er riß die Augen auf und zahnte Dieter an. „Darf
ich mich ein paar Minuten unters Volk mischen? Ich möchte meinen Freund Dr.
Niedermann begrüßen. Wie ich in der Zeitung las, geht das MS-11-Präparat auf
ihn zurück. Scheint eine tolle Entdeckung zu sein.“
„Sie ist bahnbrechend.“
„Da kann ich nur gratulieren.“
„Falls Sie ans Buffet gehen,
empfehle ich Ihnen den geräucherten Hirschschinken.“
Damit war die Unterredung
beendet.
Dieter widmete sich seinen
Gästen, die ihm allesamt sympathischer waren als Casseur. Der verschwand im
Gewimmel.
Dieter bezweifelte, daß sich
Niedermann über das Wiedersehen freute. Andererseits war Niedermann vom
gleichen Schlag wie Casseur, jedoch nicht so direkt in seiner Feindseligkeit,
sondern mit leisem Tritt, hinten herum, freundlich ins Gesicht, aber intrigant
in den Taten. Dieter bedauerte es, daß er sich bisweilen mit qualifizierten
Fachidioten umgeben mußte, die menschlich wie Müll waren: zum Wegwerfen.
Während sich Dieter mit
Professor Dr. Holmann, dem Chefarzt einer Klinik, unterhielt, suchten seine
Blicke nach Niedermann.
Der kam eben hinter dem Weinfaß
hervor, hatte also die Toilette aufgesucht und wirkte etwas abgeschlafft, was
Gesichtszüge und Haltung betraf. Immerhin — er genoß seine Wichtigkeit. Und
Fini, seine Frau, wurde ständig von Kavalieren umlagert.
Dieter wandte sich dem
Professor zu und beobachtete nichts von dem, was sich in der entfernten Ecke
der Kaminhalle abspielte: zwischen Dr. Niedermann und Casseur.
In diesem Moment nämlich
entdeckte der Chefchemiker den ehemaligen Kollegen.
Niedermann konnte kaum atmen.
Vorsichtig stellte er sein Weinglas neben dem 100-Liter-Faß ab.
Casseur! Verdammt! Der Kerl war
in Fini verliebt gewesen. Und bei ihr hatten sich jedesmal die Augen
verschleiert, wenn sie ihn sah. Rätselhaft! Denn so schön war dieser Strolch
nun auch wieder nicht. Aber vor allem: Wußte er Bescheid über das
MS-11-Präparat?
„Hallo, Jan!“ Casseur blieb vor
ihm stehen. „Soll ich dir gratulieren?“
„Hallo, Martin! Bist du’s
wirklich? Wie geht’s, lieber Freund? Was bringt dich hierher?“
„Der Zufall. Oder... Aber das
geht dich nichts an. Ich war drei Jahre in Wien. Dann hat mich die Sehnsucht
nach Rödlkamp gepackt. Nun bin ich hier und... Komm mal beiseite! Ich habe dir
was zu sagen.“
Also doch! Niedermanns Hände
wurden kalt. Er sah, wie Fini durch die Menge auf sie zukam. Aber seine Frau
hatte Casseur noch nicht entdeckt.
„Gehen wir auf die Terrasse,
Martin.“
Eine hohe, weitgeöffnete
Flügeltür ließ sauerstoffreiche Herbstluft herein und Gäste hinaus. Einige, die
schon einen dösigen Kopf hatten, standen im Freien herum und glotzten in den
Park.
Niedermann und Casseur stellten
sich in eine Ecke.
Hinter dem Rücken trocknete der
Chefchemiker seine schweißfeuchten Hände am Taschentuch.
„Um es dir gleich zu sagen, Jan
Niedermann: Ich schäme mich, daß ich mal dein Freund war. Du bist der letzte
Dreck.“
„Was?“
„Der letzte Dreck. Oder glaubst
du etwa, ich hätte mich nicht informiert — über das MS-11-Präparat! Ein neuer Name!
Aber eine alte Mixtur. Ich konnte genug erfahren. Ich habe Durchblick. Deine
Entdeckung? Soll ich laut lachen?“
„Ich... verstehe nicht, was du
meinst.“
„Tu nicht so scheinheilig.
Richard Böskirchner hätte heute den Nobelpreis, lebte der arme Kerl noch. Er
war unser Freund. Nur du und ich wußten, wie weit er damals mit seiner
Forschung war. Dann hatte er den tödlichen Unfall. Und kaum erfuhren wir beide
das, wurde in Richards Haus eingebrochen - noch in derselben Nacht. Alle
Unterlagen verschwanden. Komisch! Dich hatte ich nie im Verdacht. Für so einen
Coup erschienst du mir zu feige. Ich dachte an Betriebsspionage.“
Niedermann schwieg. Kalter
Schweiß lief ihm über die Stirn. „Du hast jahrelang gewartet“, fuhr Casseur
fort. „Wolltest kein Risiko eingehen. Um jetzt den Ruhm und die Kohle
einzuheimsen. Wie?“
„Na und?“ Niedermann gewann
seine Fassung zurück. „Beweisen kannst du nichts. Was willst du?“
„Nichts beweisen? Wenn ich die
Sache aufs Tablett brächte, stündest du schön da.
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