Feind aus der Vergangenheit
vier sausten los.
Mit einem Seitenblick stellte
Tim fest, daß Casseur ausstieg. Und auf der anderen Seite des Wagens schraubte
sich Fini Niedermann in die Höhe.
Nanu! dachte er. Aber für
tiefschürfenden Scharfsinn war im Moment keine Zeit.
Am Unglücksort stand ein
totenbleicher Lastzugfahrer, zitterte mit allen Körperteilen und wußte nicht,
was er tun sollte.
Tim und Gaby sprangen aus dem
Sattel. Als sie den Verunglückten vorsichtig umdrehten, blieb seine randlose
Brille im Schlamm des Chausseegrabens. Schlamm überzog auch das Gesicht und
füllte die Lücken zwischen den etwas sperrigen Zähnen. Trotzdem erkannte Tim,
wen hier das Schicksal ereilt hatte.
„Leute! Das ist Dr.
Niedermann!“
„Tot?“ fragte Klößchen.
Tim wußte es noch nicht.
Mühelos hob er den Mann auf. Karl und Klößchen konnten sich vor Entsetzen kaum
rühren. Niedermann wurde auf eine trockene Grasnarbe gebettet. Und zwar so, wie
es die Erste Hilfe vorschreibt: in Seitenlage.
Tim entfernte die
Schlammklumpen aus Niedermanns Mund und fühlte gleichzeitig nach dem Puls.
In diesem Moment gab der
Chef-Chemiker einen gewaltigen Rülpser von sich. Vermutlich bekam ihm das
Wasser des Chausseegrabens nicht.
„Er atmet“, schrie Klößchen.
„Er rülpst. Das bedeutet: Er
lebt. Gott sei Dank!“
Tim wandte den Kopf.
Casseur und Fini kamen im
Laufschritt. Offenbar hatten sie erkannt, wem der Wagen gehörte und wer —
demzufolge — der Verunglückte war.
Wieder wollte sich Tim dem
Bewußtlosen zuwenden, doch sein Blick wurde gebannt.
Eine Feuersäule hob sich aus
Casseurs Wagen. Das Dach startete und flog. Auch nach rechts und links platzte
der Wagen auseinander. Dann drang die Explosion in die Ohren.
Gaby, Karl, Klößchen, Fini und
Casseur drehten sich um. Sämtliche Trommelfelle bebten. Die Feuersäule sank in
sich zusammen. Das brennende Auto-Wrack sah aus wie ein Scheiterhaufen.
Totale Stille breitete sich
aus.
Niemand rührte sich.
Nach einer halben Minute begann
der LKW-Fahrer zu stottern.
„Was... was... war... denn...
denn... das?“
Tim, der noch mit Daumen und
Zeigefinger Niedermanns Handgelenk in Pulshöhe hielt, spürte eine Bewegung.
Der Chef-Chemiker öffnete die
Augen — und gleichzeitig den Mund.
„Fini!“ brüllte er. „Das wollte
ich doch nicht. Fini, du sollst nicht sterben. Du doch nicht, mein Lämmlein!
Fiiiini! Wo bist du? Casseur soll verrecken. Der Saukerl! Nur er! Fiiiini!“
Ich schnall ab! dachte Tim. Das
steckt dahinter! Der hat gezündelt. Und jetzt schnappt er über. Unfallschock!
Gehirnerschütterung! Und seelische Not! Nicht zu fassen. Niedermann hat mit
Sprengstoff gebastelt und beinahe sein Lämmlein erwischt.
„Wenn ich das richtig sehe“,
sagte Karl in die Stille, „verdient Dr. Niedermann unseren Personenschutz
nicht, sondern eher das Gegenteil. Nämlich Haft hinter Gittern für zahlreiche
Jahre.“
*
Daß er Karl-Erich Flühm hieß,
der dritte Terrorist — war inzwischen polizeibekannt. Aber nicht, wie er
aussah, wo er hauste, was er momentan trieb, wie man seiner habhaft werden
konnte.
Ebenso wie Trensl benutzte
Flühm gefälschte Papiere. Für den Namen Wendelin Andreesen hatte er sich
entschieden. Und als dieser war er Mieter einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der
Petzl-Straße.
Die Wohnung lag ganz oben in
einem sechsstöckigen Gebäude. Die Petzl-Straße gehört zur Großstadt und ist am
besten zu erreichen mit der Bus-Linie 23, die am Großmarkt vorbeiführt.
An diesem Nachmittag — es ging
auf 17 Uhr — war Flühm noch mieser gelaunt als sonst. Er litt unter Platzangst.
Seit frühster Jugend hielt er’s nicht aus in engen Räumen, Fahrstühlen,
Flugzeugen, überfüllten Zügen und Privattheatern, wo es ja meistens beengt
zugeht.
In der Zwei-Zimmer-Wohnung
konnte er manchmal kaum Luft holen. Und seit gestern hatte sich die Lage
zugespitzt — bis fast zum Ersticken. Wegen Norbert Trensl, dem Komplicen.
War der doch gestern ohne
Vorwarnung zu ihm hereingeschneit, mit Knickbeinen und blödem Blick — weil er
die Wirkung der Spockhoffschen K. O.-Tropfen noch nicht überwunden hatte.
Flühm mußte ihn aufnehmen, ob
er wollte oder nicht. Trensl war am Ende mit seinem Latein — und die verdammten
Bullen fahndeten nach ihm, daß die Augen tränten.
Trensl hatte sechs Tassen
Kaffee getrunken und berichtet von der totalen Pleite bei Paluschke und ihm.
„Also war alles umsonst“,
knirschte Flühm. „Die Knete ist weg, unsere Namen sind bekannt und
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