Feind aus der Vergangenheit
wir keine Kinder
haben. Denn eines Tages... nein, ich glaube nicht, daß ich für immer bei ihm
bleibe. Ein Irrtum ist schlimm. Aber er wird noch schlimmer, wenn man ihn nicht
berichtigt.“
Casseur nickte. Sie gingen
hinein. Vormittagssonne durchflutete den Wohnraum. Casseur hatte ein zweites
Frühstück vorbereitet: mit Marmeladen-Toast, Cognac und schwarzem Kaffee.
Aber Fini war nicht hungrig.
Sie wollte lediglich ihr Herz ausschütten — und eine Tasse Tee trinken. Casseur
hatte keinen Tee. Weil Finis Magen keinen Kaffee vertrug und ihr vom gestrigen
Wein noch ganz übel war, nahm sie schließlich gar nichts.
Casseur kam sich etwas blöd vor
— mit seiner Stachelbeer-Gelee-Semmel, zu der er Cognac trank.
Die Sonne erwärmte den etwas
karg möblierten Raum. Fini jammerte, was für ein Elend es sei, mit Jan
Niedermann zu leben. Auch gestern habe sie wieder gute Miene gemacht und allen
die begeisterte Ehefrau vorgespielt.
„Dein Mann ist ein ekelhafter
Betrüger“, sagte Casseur — und erzählte die Wahrheit über das MS-11-Präparat.
Fini machte kreisrunde
Kuhaugen, trank vor Schreck aus seinem Cognac-Glas und nickte sechsmal.
„Es paßt zu seinem Charakter.
Dieser Betrüger! Ist ja unfaßlich! Aber was nun? Willst du ihn bloßstellen?“
„Einerseits käme ich mir dabei
hinterhältig vor. Andererseits auch.“
„Er ist sowieso am Ende seiner
Nerven. Er glaubt, diese Terroristen — die jetzt hier rummachen. Weißt
Bescheid, ja? — daß die ihn im Visier haben.“
„So wichtig ist er nun auch
wieder nicht. Komisch! Geht’s dir auch so wie mir? Manchmal kann ich diese
Terroristen verstehen.“
„Aber, Martin!“ rief sie. „Das
sind doch Verbrecher!“
*
Niedermann keuchte. Schweiß
lief ihm übers Gesicht. Die Gläser der randlosen Brille beschlugen. Geduckt
zwängte er sich durch die Büsche, die hier auf der Westseite den Amadeus-Hügel
bewuchsen.
Den Aktenkoffer, der die
Höllenmaschine enthielt, preßte Niedermann an sich. Ungesehen erreichte er die
Rückseite der Garage. Casseurs Citroen parkte im Freien. Diesen Fleck konnte
man nicht einsehen — weder vom Haus noch aus Richtung Straße.
Niedermann probierte den
Türöffner. Der Wagen war nicht abgeschlossen. Allerdings wäre ein abgesperrter
Wagen kein Hindernis gewesen. Niedermann hatte die Tasche voller Haken und
Nachschlüssel-Drähte.
Vorsichtig schob er den
Aktenkoffer unter den Beifahrersitz. Der Zünder der Höllenmaschine war
eingestellt. Das Uhrwerk tickte. Noch 30 Minuten...
Er rannte zurück, arbeitete
sich durch die Büsche und den Hang hinunter bis zur Bushaltestelle an der
Ölröder Straße.
Dort war die Telefonzelle. Ein
schmaler Weg führte hinter ein dschungeldichtes Gestrüpp besonders trauriger
Trauerweiden.
Dort parkte der Wagen des
Chef-Chemikers.
Niemand wartete an der
Bushaltestelle.
Niedermann trat in die
Telefonzelle und wählte.
Noch 18 Minuten...
„Hallo?“ Casseurs Stimme klang
aufgekratzt.
„Ich bin’s, alter Junge. Dein
Freund Jan Niedermann.“
„Nanu, nanu! Eben haben wir von
dir geredet... äh, an dich gedacht, meine ich. ,Wir’ bedeutet ,ich’. Weil ich
soviel von Martin Casseur halte, spreche ich meistens in der Mehrzahl von ihm.“
„Aber ja“, lachte Niedermann.
„Auch Meier-Micksner scheint viel von dir zu halten. Hat er dich schon
erreicht? Nein. Natürlich nicht! Ich soll dich ja bitten. Hier bei uns ist
nämlich ein Wahnsinns-Problem aufgetaucht. Der Chef sagt, nur du kannst das
lösen. Er bittet dich, sofort zu ihm zu kommen. Es eilt. Er erwartet dich im
Zweigwerk Hochbucken.“
„Sieh einer an!“ Casseur schien
zu grinsen. „Also, wenn er mich bittet... Gut, ich komme.“
Niedermann legte auf, grinste
teuflisch, holte den Feldstecher aus seinem Wagen und versteckte sich unter den
schwermütigen Zweigen der Trauerweide. Von hier reichte der Blick die Straße
entlang — bis zum Amadeus-Hügel hinauf.
Niedermann nahm den Feldstecher
an die Augen und wartete.
Noch zwölf Minuten...
Dort kam der Wagen.
Niedermann drehte am
Schärfenring.
Sonne spiegelte sich auf der
Windschutzscheibe. Er konnte nicht hineinsehen in den Citroen. Aber jetzt...
Hoppla! Casseur war nicht
allein. Da saß noch wer neben ihm. Eine Frau?
Der Wagen näherte sich.
Jetzt konnte Niedermann die
Insassen erkennen.
Seine Kinnlade sackte herab.
Hände, Arme und Knie begannen zu zittern. Das Bild verschwamm. Der Feldstecher
schlug ihm gegen die Brille.
„Fini!“ winselte der
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