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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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Pöbel
begafft zu werden … Dazu durfte es nicht kommen!
    Lióla dirigierte Brünetta hinter sich her durch den von Trümmern
übersäten Gang. Sie passierte die tote Blondine und den Paladin in seiner
Rüstung, an der das Mondsilber noch orange glühte, ebenso wie bei der
Schwertklinge, die er in der leblosen Hand hielt. Die Leichen einiger Gardisten
lagen hier, teilweise von den mystischen Kräften, die in dieser Nacht getobt
hatten, bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt. Die Leiche eines alten Mannes in
einem Schuppenpanzer. Sie kamen an einer Frau vorbei, die auf dem Boden kauernd
beide Knie umfasst hielt und sich schluchzend vor und zurück wiegte. Lióla
verspürte Lust, ihr den Hals durchzuschneiden, aber sie hielt lieber Abstand.
Es wäre verantwortungslos gewesen, das Risiko einzugehen, dass die Schlampe das
neben ihr liegende Schwert ergriff und Lióla damit zu Leibe rückte, um
anschließend auf Lisanne einzuhacken. Lióla hatte zu oft gesehen, wie
Verzweiflung in blinde Wut umschlug.
    Also drückten sie sich an der gegenüberliegenden Wand entlang,
erreichten so die Treppe und begannen ihre Suche nach einem geeigneten Gefährt.

    Winena, die ranghöchste Priesterin der Mondmutter in
Delguardaja, hatte Helion persönlich gepflegt, so wie sie jetzt ihre Gebete
über Limoras’ Wunde sprach. Er wusste nicht, ob sie recht damit hatte, dass
Lisanne ihm trotz der Silberrüstung zehn Jahre gestohlen hatte, aber er hatte
auch keinen Grund, daran zu zweifeln. Das Fehlen der Lebenskraft machte sich
durch eine Leere in der Brust bemerkbar, wo die Trauer um Ajina hätte sein
sollen. Seine Knochen schmerzten, als er aus dem Zelt der Heilerinnen trat. Er
versuchte, die Wärme der Sonne auf dem Gesicht zu spüren. Es gelang ihm nicht.
    Die Festung war nach dem Wüten der magischen Kräfte und der
zweimaligen Eroberung instabil geworden. Ständig brachen Teile davon ein. Bei
den meisten Kastellen und Wehrtürmen sah es nicht besser aus. Deswegen lagerte
das Heer in Zelten am Nordrand des Talkessels. Die meisten Krieger waren damit
beschäftigt, Leichenhügel aufzuschichten. Die Feuer brannten überall, ihr
süßlicher Geruch reizte zum Würgen. Nur die Adligen wurden begraben, nur die
Edelsten für eine letzte Reise in die Heimat vorbereitet. Prinz Varriors Sarg
war bereits eine halbe Tagesreise entfernt. Baron Gonnar würde am Abend zu
Füßen der Festung, die sein Leben gewesen war, zur letzten Ruhe gebettet.
    »Jetzt seid Ihr ein Held, nicht wahr?«, rief jemand.
    Helion drehte sich zu dem Sprecher um. Er brauchte einen Moment, um
den Krüppel zu erkennen, der seinen rechten Arm wohl in der letzten Schlacht
verloren hatte, denn sein Verband blutete noch durch. »Narron«, stellte er
fest. »Ihr habt also überlebt?«
    »Ich war schon immer hart im Nehmen.« Keine Freude war in der Stimme
des Mannes, der an Helions Stelle zum Paladin hätte erhoben werden können.
»Viele andere hatten nicht dieses Glück.« Er hob den Kopf der Leiche hoch, die
er über den Rücken eines Esels geworfen mit sich führte.
    »Karseus!«, rief Helion.
    »Ganz recht. Phaistors Knappe. Er sprach unablässig von Euch, obwohl
er wusste, dass Euer Name keinen angenehmen Klang in meinen Ohren hat. Er
setzte solche Hoffnung auf die Hiebe und Finten, die Ihr ihn lehrtet! Selbst
nachdem Phaistor gefallen war.«
    »Wann war das?«
    »Vorletzte Nacht.« Narron schnaubte. »Zwei Nächte, zwei Schlachten.
Das Nebelland scheint ausgetrocknet, dass es in so kurzer Zeit so viele Seelen
trinkt.«
    Solche Erlebnisse fordern ihren Tribut, dachte Helion. Auch Ihr seid gealtert, Narron.
    »Was wollt Ihr jetzt tun?«
    »Der Kampf ist noch nicht zu Ende«, erwiderte Helion.
    Narron netzte die Lippen. »Der Falkenpass ist unser. Das ondrische
Heer ist in alle Winde geflohen.«
    »Lisanne hat sich nach Osten gewandt. Ich kann es spüren. In meiner
Brust.« Ein seltsames, unangenehmes Ziehen verband ihn noch immer mit der
Schattenherzogin, auch wenn Winena versicherte, dass er keine Lebenskraft mehr
verlor.
    »Ihr wollt ihr nach? Habt Ihr nie genug?«
    Er starrte auf den blutigen Verband über dem Stumpf. »Ihr habt Euren
Preis gezahlt, Narron. Ich mache Euch keinen Vorwurf. Aber ich kann nicht
aufgeben. Sonst sind alle umsonst gestorben. Die Krieger, an denen sich die
Krähen fett gefressen haben. Estrog. Baron Gonnar. Prinz Varrior.« Und Ajina.
    »Ist Modranel nicht auch gefallen?«
    »Ja. Dennoch ist Lisanne so schwach wie nie. Sie ist sterblich, und
sie weiß es.

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