Feind
eine Verbindung zu jemandem hatte, der sich im Westen aufhielt.
Wohl jemand, von dem sie Leben genommen hatte, ohne dass er daran gestorben
war. Dieser Jemand konnte nur ein Feind sein, und wenn er die Verbindung
ebenfalls spürte, verfolgte er sie bestimmt. Der Gedanke schnürte Lióla die
Luft ab. Modranel und Varrior waren tot, da war sie sicher. Die Verwundung im
Gesicht des Greises im Schuppenpanzer hatte ebenfalls sehr vielversprechend
ausgesehen. Vielleicht hatte ihre nichtsnutzige Schwester überlebt. Oder die
verhassten Mondschwerter waren ihnen auf den Fersen. Der Paladin hatte schlaff
am Boden gelegen, aber durch die Rüstung hatte sie nicht erkennen können, in
welchem Zustand er sich befunden hatte.
Sie beobachtete, wie ein Gehöft nach dem anderen in Flammen aufging.
Die Gardisten wussten, was sie taten. Sie hatten Erfahrung darin, Opfer
zusammenzutreiben. Die Wolken wurden dichter, Nieselregen setzte ein, steigerte
sich, wurde zu einem Trommeln auf den Blättern der Bäume.
Schließlich kam Irien mit drei Begleitern zurück. »Das Tal ist
gesichert, Dunkelruferin.«
Sie stieg wieder in die Kutsche und löste die Riemen, die ihre
Meisterin banden, während sie sich zur Mühle bringen ließ. Sie mussten Fackeln
in den feuchten Boden stecken, die Dämmerung verdunkelte den Himmel zusätzlich.
In ihrem Schein musterte sie die Menschen, wie sie sich Schutz suchend
aneinanderschmiegten. Ihre Kleidung war grob, lederne Schürzen, Wollhemden,
Holzschuhe. Etwa fünfzig waren es, die Hälfte davon Kinder, wie Lióla
befriedigt feststellte. Endlich hatte ihr Pech ein Ende.
»Ihr!« Sie winkte zwei Gardisten heran. »Holt eure
Schattenherzogin«, sie sprach das Wort so laut aus, dass jeder es hören musste,
»bringt sie dort hinauf, wo alle sie sehen können.« Sie zeigte unter das
Vordach, das einen Eingang der Mühle am oberen Ende einer Freitreppe
beschirmte. »Und seid vorsichtig, wenn euch euer Leben lieb ist.«
Lächelnd wandte sie sich den Menschen zu. »Euer Leben endet in
dieser Nacht. Ihr werdet alle sterben. Die Ältesten zuerst, die Jüngsten
zuletzt. Sagt mir, wer von Euch hat die meisten Jahre gesehen?«
Die Menschen zitterten, schwiegen aber. Prüfend sah Lióla in den
Himmel. Wegen der Wolken konnte sie nicht sicher sein, dass die Sonne schon
vollständig untergegangen war. Immerhin würden sie auch das Mondlicht
abschirmen. Anders als Höhlen oder Gebäude blockten sie die Macht der
Himmelslichter, wenn auch nicht vollständig. Jede Erleichterung wäre Lióla
recht. Wer wusste, wie weit es zum nächsten Dorf war, falls dieses nicht den
gewünschten Erfolg brachte? Sie brauchte jetzt Geduld, musste abwarten.
Aber sie konnte die Zeit nutzen, um diese Menschen vorzubereiten.
»Wollt ihr Zuflucht zu Terron suchen?«
Sie sahen sie fragend an.
»Was ist? Vertraut ihr nicht auf den Stiergott?«
Irien räusperte sich. »Ich glaube, wir sind nicht mehr in Milir«,
raunte er ihr zu. »Dies könnte schon Eskad sein.«
Sie runzelte die Stirn. »Du!« Sie schlug einem kräftigen Mann ins
Gesicht. »Wer empfängt deine Hingabe?«
Blöde glotzte er sie an.
»Zu wem betest du?«, fauchte sie.
»Morn ist einfach«, wimmerte eine alte Frau neben ihm.
»Wer hat dich gefragt, Weib?«, fuhr Lióla sie an.
Die Alte weinte. »Mein Morn hat ein gutes Herz. Aber das Denken
bereitet ihm Mühe. Er versteht nicht, was Götter sind.«
Für einen Moment starrte Lióla sie sprachlos an. »Also sag du es
mir! Welchem Gott gilt eure Verehrung?«, fragte sie schließlich.
Sie sah zu Boden. »Die Mondmutter hat unser Sehnen stets erhört.«
»Die Mondmutter?«, rief Lióla. »So weit im Norden?«
»Eine ihrer Priesterinnen kam zu uns. Sie hat uns geholfen und uns
gelehrt. Baron Truber erlaubt uns, zur Mondmutter zu beten.«
Mit verächtlichem Schnauben wandte sich Lióla ab. Ihr Blick fiel auf
Brünetta. Anscheinend war die Schwesternschaft, der Pnemaja angehört hatte,
ungewohnt missionarisch aktiv. Oder sollte etwa Pnemaja selbst die Priesterin
gewesen sein, die dieses Dorf bekehrt hatte?
Sie suchte in den tiefliegenden Augen des Ghouls nach Erinnerungen,
fand aber nur dumpfes Unwissen. Ein solcher Zufall hätte Lióla amüsiert, aber
sie hatte keine Möglichkeit, zu der Pnemaja vorzudringen, die Brünetta früher
gewesen war. Außerdem gab es eine ungleich wichtigere Aufgabe zu erledigen.
Also stellte sie sich auf die Treppe und sah zu den Knienden
hinunter. »Dann ruft nach der Mondmutter! Lasst uns
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