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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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jagen, bis ich ihr abgeschlagenes Haupt in der Hand halte und zusehen
kann, wie die gestohlenen Jahrhunderte ihren Tribut fordern. Ich habe eine
Mutter getroffen, die mehr Mut bewies als ein Baron. Ich habe Kameraden
verloren, meine Liebe, zehn Jahre meines Lebens. Aber ich werde nicht aufgeben!
Niemals! Ich werde nicht ruhen, bis Lisannes Finsternis von der Welt genommen
ist. Wenn es sein muss, werde ich allein gehen. Aber ich bin sicher, dass in
diesem Heer genug Herzen schlagen, in denen so viel Ehre wohnt, dass sie das
nicht zulassen werden.«
    Als er von dem Wagen sprang, wusste er noch nicht, dass er Anführer
von dreihundert Bewaffneten geworden war.

NACHTSCHATTEN
    E ndlich ein Dorf.
    Lióla war der Verzweiflung nahe. Sie wusste nicht, wie lange sie
heute neben Lisannes leblosem Körper in der Kutsche gehockt und nichts anderes
getan hatte, als zu weinen, während das Gefährt den dritten Tag mit
halsbrecherischer Geschwindigkeit nach Osten raste. Das Unleben blieb im Körper
ihrer Herrin, aber ihr Charisma war nur ein Abglanz ihres Selbst, und sie hatte
bis heute noch nicht einmal die Augen geöffnet. Es war, als ob sich die Osadra
in Starre befände. Dieser Zustand trat normalerweise ein, wenn die Strahlen der
Sonne direkt auf den untoten Körper schienen. Er wurde dann zu vollkommener
Bewegungslosigkeit verdammt, wurde hart wie Stein. Aber Lisannes Gelenke waren
nicht steif. Lióla hatte sie sogar mit Gurten festbinden müssen, damit die Arme
bei der unruhigen Fahrt nicht von der Pritsche fielen. Jetzt lag die Schattenherzogin
da wie eine Gefesselte. Allein ihre magische Sicht gab Lióla Hoffnung. Auf der
Ebene jenseits des Greifbaren war Lisanne finster und erhaben, wie es sein
sollte. Finster, erhaben, und stumm.
    Aber jetzt endlich meldete die Garde ein Dorf. Lióla rieb sich mit
dem Ärmel ihrer Robe die Wangen trocken und klopfte gegen die Tür, damit man
ihr öffnete. Die ausklappbare Treppe war auf einem holprigen Waldweg
abgebrochen. Ein Gardist kauerte sich auf den Boden, damit sie seinen Rücken
als Stufe benutzen konnte. Würde. Würde war jetzt
wichtig. Sonst mochten die Krieger auf den Gedanken verfallen, dass sie besser
allein ihr Glück versuchten, als dem Befehl einer fünfundzwanzig Jahre alten
Dunkelruferin und einer Osadra, die beinahe schon ins Nebelland hinübergegangen
schien, zu folgen. Es waren zwanzig Bewaffnete, alle beritten. Genug, um eine
Räuberbande zu gründen.
    ›Dorf‹ war eine hochtrabende Bezeichnung. Eine Mühle stand an dem
Bach, der sich durch das Tal schlängelte. Daran angeschlossen waren drei Häuser,
eines davon sicher ein Schuppen für Getreide und Mehl. Weiter verteilt gab es
eine Handvoll Gehöfte, jedes mit einer Palisade umgeben.
    »Wie beurteilt Ihr die Verteidigungsanlagen, Bannerträger?«
    Er spie aus. »Lachhaft.« Er war kein Mann, der so etwas leichtfertig
gesagt hätte. Er tat überhaupt nichts leichtfertig. Obwohl sie nur die nötigste
Zeit für Rastpausen gewährt hatte, waren seine Wangen sauber geschabt. Wenn es
die Garde mit ihrem Kodex von Disziplin und Ordnung nicht gegeben hätte, hätte
er sie erfunden. Sein Name war Irien.
    »Denkt Ihr, im Wald sind weitere Siedlungen?«
    Am Bach entlang war das Land gerodet, um Platz für Felder zu
schaffen, aber an den Hängen standen die Bäume des Nachtschattenwaldes. Hier
sahen sie nicht viel anders aus als Eichen und Buchen anderswo auch, doch Lióla
hatte gehört, dass sie unter dem Einfluss der Fayé im Kernland Amdras so riesig
wurden, dass ihre Kronen die Wolken berührten. Das war sicher übertrieben, aber
solche Legenden waren wie der Eiter, der um einen festen Dorn wucherte.
    »Möglich, aber ich sehe keinen Grund dafür. Es gibt genug freies
Land im Tal, das man hätte bebauen können.«
    Brünetta stieg von ihrem Platz an der Rückseite der Kutsche, wo sie
sich stundenlang stoisch festhalten konnte. Ihre einzige Annehmlichkeit war
eine Plane gegen die Sonne. Schon das Licht des fahlen Tages schmerzte den
Ghoul in den kleinen Augen, sodass er sie mit den Pranken beschattete. Treu wie
ein Hund näherte sich Brünetta Lióla, die ihr die monströse Schulter
tätschelte.
    »Ich will sie alle«, sagte sie. »Bringt sie zur Mühle. Lasst keinen
entkommen.«
    Mit einem Nicken bestätigte Irien den Befehl. Er teilte seine Leute
in Zweiergruppen ein und ließ sie ausschwärmen. Nur zwei blieben zurück, um die
Kutsche zu bewachen. Lióla war nicht wohl dabei. Sie konnte spüren, dass
Lisanne noch

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