Feind
Schmutz von seinen Knien.
»Dafür nun der ganze Aufwand«, murrte Orrer. »Richtet euch ja sauber
aus!«, äffte er. »Mehr als tausend Bewaffnete aufmarschieren lassen – für
nichts und wieder nichts! Ich wäre lieber im Süden, ein paar eskadische Dörfer
plündern! Der hat uns doch gar nicht gesehen in seiner geschlossenen Kutsche.«
Da war Helion nicht sicher. Der Schattenkönig mochte Sinne besitzen,
die über das Begreifen der Menschen hinausgingen.
»Hätte nur noch gefehlt, dass sie gesagt hätten, wir sollten unsere
Mütter stolz machen mit unserer Parade!« Orrer lachte.
»So schlimm kann das gar nicht sein mit dieser Opferstätte«,
behauptete Helion. »Ein paar Tote und ein bisschen Saubermachen.«
Orrer glotzte ihn an. »Würdest du das etwa machen wollen?«
»Ich bin doch keine Dienstmagd.«
»Das bin ich auch nicht!«, brauste Orrer auf.
»Nur gegen Bezahlung«, sagte Helion.
Orrers Blick schätzte ihn ab. »Fünf Kupferstücke, und morgen gehst
du an meiner Stelle.«
»Neun.«
»Neun also!« Grinsend streckte er ihm die Hand entgegen.
Helion sah zu den Monden auf. Stygron war nur noch halb zu sehen,
auch Silion nahm deutlich ab. Er schlug ein.
Als Helion am nächsten Morgen am Ritualplatz eintraf, war der
eigentliche Schädelthron schon fertig. Jetzt waren die Söldner damit
beschäftigt, die geraden Knochen von Oberschenkeln und Oberarmen abzukochen und
dann zu den beiden Seelenbrechern zu bringen, die sie zu einem Baldachin
arrangierten.
Der Thron stand am Rand einer Senke, von wo aus man den Platz gut
überblicken konnte. Im Zentrum erhob sich ein Quader aus rauem Graustein. Die
angeschmiedeten Fesseln und die rostroten Ablaufrinnen ließen keine Zweifel
daran, wofür er genutzt wurde.
Der Opferstein stand auf einer ovalen Freifläche mit einem Radius
von etwa zehn Schritt. Sie wurde von den Felsblöcken begrenzt, die Orrer
beschrieben hatte. Auch diese waren Quader aus grauem Stein, aber sie waren
größer als die Opferstätte. Die meisten standen auf ihrer Schmalseite, die
immer noch mehr als einen Schritt maß, und ragten zwischen eineinhalb und drei
Mannslängen in die Höhe. Manche waren durch querliegende Quader miteinander
verbunden, sodass sie leere Tore bildeten. Für Besucher aus der stofflichen
Welt erfüllten diese Durchgänge keinen Zweck, denn die Steine standen so weit
voneinander entfernt, dass sie in keiner Richtung ein Hindernis bildeten. Als
Helion sich ihnen näherte, erkannte er die verschlungenen Zeichen, die in ihre
Seiten gemeißelt waren, was ihn in der Vermutung bestärkte, dass sie als
Durchgänge für Wesenheiten aus dem Nebelland bestimmt waren.
Was immer der Wald hier an Leben hervorbrachte, hatte sich weit von
der Natur entfernt, die die Götter ihm bestimmt hatten. Das Gras war nicht
grün, sondern knochenweiß. Die Zweige der Büsche wanden sich so, dass sie
unmissverständliche Formen bildeten: verkrüppelte Klauen, starrende Augen,
aufgerissene Mäuler. Eitergelbe Blüten öffneten sich in der Morgensonne. Rote
Nässe tropfte von ihren Blättern zu Boden. Ein Igel fraß am Kadaver eines
Kaninchens, dessen Maul Reißzähne verunstalteten. Seine Stacheln waren
fingerlang. Sie wuchsen nicht gerade, einige bogen sich so weit, dass sie dem
Tier in das eigene Fleisch stachen.
Am schlimmsten waren die Bäume. Die Äste zweier Riesen waren so
verflochten, dass es aussah, als würden sie miteinander ringen, als versuchten
sie, den Konkurrenten im Kampf um Licht und Wasser zu zerbrechen. Nicht nur in
ihrer Rinde glaubte Helion menschliche Gesichter zu erkennen. Sie waren
ausnahmslos Bilder großer Qual, die Augen schreckgeweitet, die Münder zu
stummen Schreien geöffnet. Einer dieser Riesenbäume – bis auf die Größe ähnelte
er einer Eiche – stand zwischen den Steinblöcken gegenüber des Throns. Er war
nicht nur wegen seines Platzes besonders auffällig, schließlich stand er von
allen Bäumen dem Opferstein am nächsten, sondern auch, weil in ihm besonders
viele und besonders deutliche Gesichter zu erkennen waren.
»Du!«, rief ein Gardist. »Wenn du schon so lange schläfst, dann
beeile dich jetzt gefälligst! Leg deine Sachen ab und fass mit an!« Er zeigte
mit seiner Lanze auf die Waffen, die die hier arbeitenden Söldner an einem der
wenigen flach liegenden Steine deponiert hatten, gerade einmal zwei Schritt von
dem Gesichterbaum entfernt.
Söldner besaßen meist nur, was sie mit sich tragen konnten. Sie
legten ihren Lohn in Ketten und
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