Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
Vom Netzwerk:
waren erst kurz vor dem Zusammenprall wieder
vollständig materialisiert. Sie starrten ihn schreckgeweitet an, während der
Schrei eine Tonlage höher wurde.
    Helion erlaubte sich kein Zögern. Zwar spürte er, wie die Krallen
gegen seinen Schild schlugen, aber er stieß unbeirrt sein Schwert in den
Gegner. Tief drang die Mondsilberklinge unter dem Schlüsselbein ein, durchstieß
die Brust und durchbrach das Schulterblatt, um am Rücken wieder auszutreten.
    Das Kreischen des Osadro wurde jetzt so laut, dass es in den Ohren
schmerzte. Helion fühlte, wie das Gewicht die Klinge nach unten zog, als die
Knie des Gegners nachgaben.
    Er gönnte sich kein Verschnaufen. Er riss das Schwert herum und zog
den Osadro so durch die Silberwolke in das Licht des roten Mondes. Nach allem,
was Treaton ihn gelehrt hatte, war Vollmondlicht fast so schwächend für einen
Schattenherrn wie das der Sonne. Hätten alle drei Monde voll am Himmel
gestanden, wäre es noch besser gewesen. Heute musste Stygron genügen.
    Der Osadro wand sich wie ein aufgespießter Schmetterling, bei dem
man die lebenswichtigen Organe verfehlt hatte. Helion überlegte, ob er ihn
enthaupten sollte, aber er wagte nicht, die Klinge herauszuziehen. Also ließ er
sie, wo sie war, und trat seinem Gegner die Beine weg. Dann stampfte er ihm auf
die Brust und hielt ihn so am Boden.
    Der Osadro schrie in einem fort, auch dann noch, als die drei
Paladine, die Keratron in den Keller geschickt hatte, in das Zimmer liefen.
Zwei von ihnen wichen instinktiv vor dem Grauen zurück, der dritte trat näher.
    »Schlagt ihm den Kopf ab!«, forderte Helion.
    In diesem Moment verlor der Osadro das Bewusstsein.
    Der Paladin sah die alte, nackte, hässliche Frau an, die immer noch
über den Boden kroch, obwohl sie den Kreis inzwischen verlassen hatte. Er
wandte den Blick zu dem vermutlich toten Kameraden an der Wand und zu Gerrior,
dessen Blut inzwischen eine beträchtliche Lache bildete. Dann sah er zu
Keratron hinüber, für den ebenfalls wenig Hoffnung bestand.
    »Es ist Euer Sieg«, sagte er. »Euch steht es an, zu bestimmen, was
mit Eurem Gefangenen geschieht. Aber wenn Ihr meinen Rat wollt: So leicht
sollte er nicht sterben.«

    Bei Sonnenaufgang hatte der Osadro in ähnlicher Weise geschrien
wie in dem Moment, als Helion ihn aufgespießt hatte. Jetzt war er verstummt,
stand beinahe so reglos wie eine Statue. Wahrscheinlich hätten sie seine
Fesseln lösen können. Die Sonne hielt ihn in Starre, wenn auch nicht in
Ohnmacht, wie seine von Agonie gläsernen Augen verrieten. Er stand auf dem Dach
des Tempels der Mondmutter, und was die Menge, die sich auf dem Platz davor
versammelt hatte, in der Nacht des roten Mondes nicht vollbracht hatte, gelang
ihr jetzt, da sie Zeuge des Todes eines Unsterblichen wurde. Andächtige Stille
lag über dem Platz. Die Königsfamilie stand am Geländer des Balkons, von dem
aus sie die beste Sicht hatte. Helion konnte sich vorstellen, dass der Besitzer
des Hauses dafür keine einzige Kupfermünze hatte zahlen müssen. Die Faszination
hatte die Schritte der Majestäten gelenkt, ebenso jene der Masse, die sich auf
dem Platz drängte, auf den anderen Balkonen, an den Fenstern, sogar auf den
Dächern.
    Es war das Privileg der siegreichen Mondschwerter, neben dem
Verurteilten auf dem Tempel der Mondmutter zu stehen. Helion, sein Überwinder,
stand neben Giswon, dem Ordensmarschall. Keratron war beim Heiler, in der
vergangenen Woche hatte er sich soweit erholt, dass man hoffen durfte, die
Kraft der Göttin könne ihn ins Leben zurückholen. Für den letzten Kameraden,
der an dem Kampf teilgenommen hatte, galt das nicht. Genick und Wirbelsäule waren
gebrochen, als der Feind ihn an die Wand geschleudert hatte.
    Der Osadro hieß Ranomoff. Er war ein Baron in Ondrien, dem Land der
Schattenherren. Vor etwa zwanzig Jahren war er in die Schatten getreten. Mehr
wussten sie nicht über ihn. Er war nicht sehr gesprächig gewesen. Jedem Osadro,
der in die Hände der Mondschwerter fiel, war klar, dass seine Ewigkeit ein
rasches Ende nahm. Möglich, dass die Archive mehr über ihn hergeben würden.
Wenn der Brand vor sieben Jahren die Unterlagen nicht vernichtet hatte.
    »Euer Blick ist schwer zu deuten, Silberträger.«
    »Verzeiht, Ordensmarschall.« Helion sah hinunter zu der Menge.
    »Verwirrt es Euch, mich in Eisen und Silber zu sehen?«
    Das heilige Metall an Giswon und Helion leuchtete in einem tiefen
Orange, was bewies, dass die Kraft des Osadro nur noch schwach

Weitere Kostenlose Bücher