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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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vorn
zu kommen. Viele weinten, aber nicht vor Schmerz. Es waren Rührung und bitteres
Flehen, die ihre Herzen bewegten.
    »Unternehmt etwas wegen der Alten«, raunte eine Stimme so plötzlich
in Liólas Ohr, dass sie zusammenschrak. »Sie stirbt uns weg.«
    »Seelenbrecher! Sei vorsichtig, an wen du dich heranschleichst!
Manche Dolche sitzen locker in diesem Haus!«
    Tatsächlich hatte Lióla unwillkürlich das Heft ihrer Waffe gefasst.
Es war eine Zeremonialklinge, aber entschlossen in einen Bauch gestoßen machte
das keinen Unterschied. Sie hätte nicht übel Lust gehabt, den Beweis dafür an
Avin anzutreten, der ihr seit seinem Eintreffen zuwider war. Er war vorgestern
gemeinsam mit den Gefangenen aus Corella gekommen und lag ihr seitdem in den
Ohren, damit sie in der eroberten Stadt das Ritual an den dort
zurückgebliebenen Stierpriestern vollzöge.
    Sie sah zu der Alten hinüber, die Avin meinte. Sie war ein
Großmütterchen, dürr, mit den Händen einer Arbeiterin. »Beschützt meinen
Ragolf!«, schluchzte sie, so heftig weinend, dass ihr Gesicht zu zerfließen
schien. »Er ist ein guter Junge! Schützt ihn, auf dass er gut für Euch streite!
Er ist so tapfer und mein einziger Enkel! Seine Eltern sind schon für Euch
gestorben! Fordert nicht auch sein Leben!«
    Ihre Stimme kippte vor Hysterie. Das war gut. Lióla sah so viel
Lebenskraft von ihr ausgehen wie von der gesamten Menschenmenge zusammen.
    »Sie stirbt«, wiederholte Avin. Er hatte seinen Schädel kahl rasiert
und einen siebenzackigen Stern in die Kopfhaut tätowieren lassen. Vielleicht
wollte er den Herren von Karat-Dor damit gefällig erscheinen.
    »Ja«, sagte Lióla gedehnt. »Das stimmt.«
    Pnemaja sah sie nur stumm an, mit geweiteten Augen, während Avin
insistierte: »Dann tut etwas dagegen!«
    Lióla fuhr zu ihm herum. Am liebsten hätte sie jetzt endlich
herausgefunden, welche Farbe seine Gedärme hatten. »Euch steht es nicht an, mir
Ratschläge zu erteilen!«
    Er zog den Kopf ein. »Natürlich nicht, Dunkelruferin.«
    Er ist zu weich für die Ewigkeit, stellte
Lióla fest. Mit Genugtuung in der Stimme sagte sie: »Lass sie sterben. Sie ist
alt, sie ist schwach. Bevor ihr Lebenslicht nutzlos verlöscht, gibt sie es
weiter an jemanden, der etwas damit anzufangen weiß.«
    Pnemaja schrie auf, schlug die Hände vor das Gesicht und brach in
die Knie. Jetzt endlich ging auch von ihr eine nennenswerte Menge Essenz aus,
die die Kristalle aufsogen.
    »So könnt Ihr nur sein, weil Ihr niemals Eltern hattet«, hauchte
Avin.
    Lióla setzte das Lächeln auf, von dem einmal jemand gesagt hatte, es
sei kälter als der Nordwind. Was wusste dieser kriecherische Kerl schon? An
ihre Mutter erinnerte sie sich nicht, aber ihr Vater hatte mehr von einem
Schattenherrn als hundert Seelenbrecher jemals haben würden. Er hatte die
Gelegenheit ergriffen, als sie sich geboten hatte. Ohne Scheu, ohne Zaudern
hatte er alle Fesseln von Angst und Gewissen überwunden. Seinetwegen war sie
jetzt im Kult der Osadroi. Er hatte sie weggegeben, und das hatte sie stärker
gemacht, als jede gluckenhafte Liebe es hätte erreichen können. Wer auf sich
allein gestellt war, der ging ein oder er entfaltete die Kraft in sich.
Modranel war der mächtigste unter den Magiern, die noch nicht in die Schatten
getreten waren. Man munkelte, dass er sich inzwischen von den Osadroi abgewandt
hatte, aber das waren nur Gerüchte, die Neider verbreiteten. Und wenn er es
getan hatte – was machte das schon? Vielleicht wollte er den Herren Ondriens
zeigen, dass er ihnen wehtun konnte, um bessere Bedingungen für seinen
endgültigen Übertritt auszuhandeln. Liólas Vater war ein Mann, der etwas wagte.
Seine Taten waren Legende. Dass sie seit einigen Jahren nichts mehr von ihm
gehört hatte, mochte bedeuten, dass er bereits irgendwo in Ondrien war, am Hof
eines Grafen vielleicht, wo er sich auf die Unsterblichkeit vorbereitete.
    In Avins Stimme lag Bewunderung, als er feststellte: »Jetzt ist sie
tot.«
    Lióla nahm ihren Blick nicht von ihm. Die Alte interessierte sie
nicht. Es war unterhaltsamer, die Faszination im Gesicht eines Mannes zu sehen,
der erkannte, worauf man sich einließ, wenn man in den Dienst der Schatten
trat. »Ja. Wie ich sagte. Und angesichts dieser Schönheit will ich dir den
Gefallen gewähren, um den du mich seit Tagen bittest.« Ihre Hand deutete hinter
sich, wo sie Pnemaja auf den Knien wusste. »Nimm sie und bereite sie vor.«
    Man hielt Heerschau in der Hafenstadt Pijelas.

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