Feind
wurde geerntet.
Als die Geißler Lióla bemerkten, erhöhten sie ihre Anstrengungen.
Sie wussten, dass eine Dunkelruferin ihnen Schwierigkeiten machen würde, wenn
sie unzufrieden mit ihrem Dienst wäre.
Lióla zog sanft, aber unnachgiebig die Hände herunter, die Pnemaja
vor die Augen geschlagen hatte. »Sieh hin, vielleicht erkennst du einen von
ihnen. Sie gehören zu den Kriegern, die sich in Corella unseren Truppen
entgegenstellten. Wohl nicht die Tapfersten, sonst wären sie bei der
Verteidigung gefallen. Aber dennoch ist es möglich, dass einer von ihnen vor
den lächerlichen Tempeln Wache stand, in denen Euresgleichen die schwachen
Götter vergangener Zeiten anwinselt.«
Pnemaja hielt ihre Tränen nicht zurück. Die blutigen Rücken weckten
ihr Mitleid. Diese Emotion war als Brücke der Lebenskraft ebenso brauchbar wie
jede andere auch, aber es wurde selten genutzt, weil sich diese Regung niemals
direkt auf einen Schattenherrn oder auf die Objekte bezog, durch die der Kult
die Osadroi verehren ließ. Das dämpfte die Wirkung erheblich. Die Gefolterten
zeigten angemessene Furcht vor dem, was die Ondrier ihnen antun konnten und
würden. Ihre Lebenskraft floss in die Kristalle. Von Pnemaja war hier nur wenig
zu erwarten. Ihr Denken blieb bei den Gequälten stehen, drang nicht weiter bis
zu denen, in deren Namen die Qual verursacht wurde.
»Eure Götter haben sie nicht geschützt«, versuchte es Lióla. »Sie
haben diejenigen verlassen, die sich vor ihre Heiligtümer stellten. Ihre Macht
wird von den Schatten erstickt.«
Es hatte keinen Zweck. Pnemaja war zu ergriffen, um die Worte
nachzuvollziehen.
Dann eben anders.
Lióla führte sie weiter.
Nicht nur Schmerz und Angst wurden in der Kathedrale genutzt. In der
Kapelle, die Gadior für seine eigene Verehrung vorgesehen hatte, verlangte er
Hingabe.
Die Statue des Bauherrn glänzte in dem gleichen schwarzen Obsidian,
aus dem alle Bildnisse der Schattenherren geformt waren. Sie stand auf einem
hohen Sockel, damit sie auf die Gemeinde hinunterblicken konnte, eine Faust in
die Seite gestemmt, die andere Hand in fordernder Geste ausgestreckt. Das
Podest war mit einem Relief verziert, das muskulöse Menschen zeigte, die die
Plattform der Statue wie eine schwere Last stemmten. Hinter dem Bildnis befand
sich eine kleine Tribüne, auf die sich ab und zu verdiente Gläubige setzten.
Auch jetzt hielten sich zwei Offiziere dort auf, vielleicht waren einige ihrer
Krieger in der Menge, die sich hier eingefunden hatte.
Lióla lachte. Ein Blick in Pnemajas Augen zeigte ihr, dass sie die
Ilyjierin richtig eingeschätzt hatte. Während ihr Gesicht noch Entsetzen
zeigte, als sie sah, mit welcher Inbrunst sich die Gläubigen dem dunklen Herrn
entgegenreckten, war in ihren Augen schon zu erkennen, dass in ihr etwas
zerbrach.
Lióla küsste ihre Schläfe, bevor sie in ihr Ohr flüsterte: »Ja, sieh
genau hin. Sie geben sich ganz den Schattenherren. Keine größere Seligkeit
können sie sich vorstellen, als von ihnen beachtet zu werden.«
»Sie wollen die Unsterblichkeit für sich«, wandte Pnemaja mit
schwacher Stimme ein.
»Diese einfachen Leute? Nein, so dumm sind sie nicht. Nur die
Verdientesten, deren Leistungen diejenigen der Menschen ihrer Zeit bei Weitem
übertreffen, werden in Erwägung gezogen, selbst zu einem Osadro gemacht zu
werden. Die Unsterblichkeit ist nur für Wenige bestimmt.«
Pnemaja sah sie an. Die eigenen Tränen schienen sie nicht zu stören.
»Ist es das, was Ihr für Euch erhofft?«
Kalt lächelnd schüttelte Lióla den Kopf. »Es geht nicht um mich. Es
geht um die Schattenherren.« Sie zeigte auf Gadiors Bildnis. »Um ihnen zu
dienen, existieren wir.«
»Aber sie waren doch auch einmal Menschen!«
»Das ist so lange her, dass es kaum mehr wahr ist. Bei einigen
Jahrzehnte, bei anderen Jahrtausende. Sie alle sind zu etwas Höherem geworden.«
»Zu etwas, was nicht in den Schriften der Götter steht. Zu etwas
Grausamerem.«
»Man braucht Macht, um grausam sein zu können. Und wie du schon
sagst, die Götter wussten nichts von dem, was die Osadroi erschuf. Die
Schattenherren nehmen sich, was sie fordern. Deine Götter sind zu schwach, es
ihnen vorzuenthalten.«
Mehr als von Liólas Worten war Pnemaja von den Menschen in der
Kapelle entsetzt. Sie schluchzten, reckten die nackten Arme der Statue
entgegen, wagten nicht, sich weiter zu nähern, als eine rote Kordel es ihnen
erlaubte, lagen jedoch beinahe übereinander, um so weit wie möglich nach
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