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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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konnte sie seine Finsternis
auf dem Weg zum Ausgang sehen, dann war er verschwunden.
    Ajina setzte Gelaja vorsichtig auf den Boden. Sie begann zu zittern,
am ganzen Körper, als stünde sie im Winter nackt im Wind. Sie konnte ihre
Tränen nicht aufhalten.
    Helions Arm war hart vom Eisen des Panzers, als er ihn um ihre
Schulter legte. »Alles ist gut«, sagte er. Seine Stimme hallte nicht mehr. Er
hatte das Visier hochgeklappt.
    Sie schmiegte sich an das unnachgiebige Metall seines Brustpanzers,
wo das Rot der Einlegearbeiten schon wieder dem gewohnten Silber wich.
    »Du bist dumm.« Er zögerte.
    Ajina versteifte sich. Sie wollte nicht, dass er sie losließ. Es war
eine schreckliche Vorstellung, dass er zu dem Schweigen zurückkehren könnte,
das in den vergangenen Wochen zwischen ihnen gestanden hatte wie ein
unpassierbarer Fluss aus Kälte. Sie wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort
hinaus.
    Zärtlich küsste er ihre Stirn. »Tapfer und dumm.«

    Als wolle sie die Hörner des Stiergotts nachahmen, stand die
silberne Sichel Silions über Corellas Tempel, der das Herz des ehemals
milirischen Orts bildete – sowohl, was die Anordnung der Häuser, als auch, was
das Sehnen seiner Bewohner anging. Letzteres würde sich schon bald ändern.
Götter hatten keine Heimat in Ondrien.
    »Erhebe dich, Seelenbrecher«, sagte Lióla.
    Avin blieb mit seiner festlich-schwarzen Robe auf dem schlammigen
Boden liegen. »Werdet Ihr uns die Ehre erweisen, die Zeremonie durchzuführen,
Dunkelruferin?«
    Er fragte das vierte Mal. Das war angemessen für den Abstand, der in
der Hierarchie zwischen ihnen lag. Man durfte denen, die erst am Anfang des
dunklen Pfades durch den Kult standen, nicht zu sehr entgegenkommen. Das hätte
Aufsässigkeit geschürt. Im Kult wartete jeder auf ein Anzeichen der Schwäche
jener, die über ihm standen. Der Weg nach oben führte über die Leichen der
Vorgänger. Bei Lióla war das nicht anders gewesen, auch wenn Baron Gadiors
Förderung geholfen hatte. Jeder musste die Vorteile nutzen, die die Schatten
ihm gewährten. Sie waren zu launisch, als dass man auf zweite Gelegenheiten
hätte hoffen dürfen.
    »Setzt mich ab!«, forderte Lióla.
    Die Sklaven senkten die Sänfte vorsichtig, bis sie den Boden
berührte. Lióla stieg hinaus.
    »Erhebe dich«, sagte sie noch einmal zu Avin. »Ich werde deine Bitte
erhören.« Immerhin hatte sie sich ja bereits in jener Nacht dazu entschlossen,
als sie ihm Pnemaja zur Vorbereitung übergeben hatte.
    Sie hörte erlöstes Seufzen aus der Menge der Krieger, die die Sänfte
umstanden. Sie begleiteten sie seit Karat-Dor, als Schutz für die Kisten mit
den Kristallen, in denen die in der Kathedrale gesammelte Essenz gebunden war,
und zugleich Verstärkung für die Front. Was ihre Kampfkraft anging, gab sich
Lióla keinen Illusionen hin. Sie waren keine Gardisten. Nur wenige in der
Hundertschaft waren gute Fechter. Die meisten führten Spieße, mit denen sich in
Formation kämpfen ließ. Vielleicht würden einige von ihnen an der Gefahr
wachsen und sogar den Silberkrieg überleben. Es war unwichtig. Ob sie die
Ritter aus Milir töteten oder ihre Hingabe bewiesen, indem sie selbst auf den
Klingen der Feinde starben – die Schattenherren würden so oder so ihren Nutzen
aus ihnen ziehen.
    Lióla hatte nur kurze Nachtlager gestattet und kaum Pausen. Sie
wollte die Kristalle abliefern. Wer zu schwach war, die Geschwindigkeit
durchzuhalten, wäre auch an der Front nutzlos. Die Krieger nahmen nun wohl an,
dass die mehrstündige Zeremonie, der Lióla vorstehen würde, ihre Rast am Morgen
verlängerte. Diese Hoffnung würde sich ebenso wenig erfüllen wie die meisten
Hoffnungen im Nachtschattenland. In Ondrien wurde dem Wohlergehen von Menschen
keine übermäßige Aufmerksamkeit geschenkt. Ihre Kraft hatte einzig den Zweck,
die Osadroi zu nähren, das war die Berechtigung ihres Lebens.
    »Lass die beiden holen, die hier in Corella vorbereitet wurden.«
Avin hatte ihr von einer Priesterin und einem Priester berichtet, die er nicht
gemeinsam mit den Adepten nach Karat-Dor gebracht hatte.
    »Ich bin sicher, meine Diener haben sich gründlich um sie
gekümmert.«
    Lióla nickte. Spannender war die Frage, ob Pnemaja bereit war. Avin
hatte nur einen Tag in Karat-Dor mit ihr gehabt, alles Weitere hatte er während
der Reise tun müssen. Sie hatte beobachtet, dass er klug genug gewesen war,
Pnemaja die Härte des strammen Marsches spüren zu lassen. Das hatte sie sicher
zugänglicher für

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