Feindberührung - Kriminalroman
wollte es wissen. Die Offiziersausbildung ging zwischendurch immer ein Stückchen weiter, ich hab mich super gefühlt. War mit zwanzig Gruppenführer, Verantwortung und so weiter.«
Er kramte wieder nach dem Taschentuch, schaute es dann bloß an und steckte es wieder weg.
» Der Einzelkämpferlehrgang, von dem Radványi neulich sprach, am Sauwaldhof.«
Therese nickte.
» Da hab ich zum ersten Mal gezweifelt, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Aber ich hab bestanden, sogar mit ganz guten Beurteilungen, und es gehörte dazu. Jeder Offiziersanwärter musste den damals machen.«
Grewe schlug den Kragen hoch, schmiegte seine Wangen in den Stoff, dann stieß er Luft aus und schüttelte sich.
» Die haben sich die entsprechenden Ausbildungen in anderen Nato-Armeen natürlich angeguckt. An der Fernspähschule in Weingarten lief das eh schon international. Wichtiger Bestandteil aller Kommandoausbildungen war der Komplex Gefangennahme, Verhör, Flucht. Du wirst eingesperrt mit einem Kameraden, sie nehmen dir alles weg, außer den Kleidern. Du hast keine Uhr mehr, musst die Zeiten abschätzen, um einen guten Fluchtzeitpunkt zu erwischen. Am besten nachts und nicht in einen Wachwechsel reinlaufen. Du kriegst die Gelegenheit und haust mit dem Buddy ab. Dann kommt die Fluchtphase. Überleben im Wald, laufen, verstecken, abwechselnd ruhen. Die sind immer hinter dir her. Zu Fuß, mal mit, mal ohne Hunde. Nachts kreist ein Helikopter tief überm Wald.«
» O Gott. Wie lange geht das?«
» Theoretisch, solange du ihnen entkommst. Praktisch bist du unter Beobachtung, und die bestimmen den Zeitpunkt. Zwei, drei Tage höchstens. Meistens haben sie einen dann schon in offenes Gelände abgedrängt, da kommen dann Jeeps auf dich zu, Männer raus, Hunde, hinlegen, durchsuchen, fesseln. Und dann kommt die zweite Gefangenschaft. Und die tut weh.«
Therese blieb stehen.
» Willst du’s erzählen?«
Grewe sah sie an.
» Ja. Es ist Zeit dafür. Ich hab schon seit ein paar Tagen das Gefühl, euch alle zu betrügen.«
» Quatsch.«
Therese hakte Grewe unter und zog ihn vorwärts.
» Okay. Sie haben dich. Du wirst nackt ausgezogen, gefesselt. Bist in einer Art Bunker. Betonboden, Feuchtigkeit, Kälte. Du kniest, die Wand direkt vor dir. Sie haben dich noch mal eine Uhr sehen lassen, und du weißt, sie erwarten, dass du hinterher grob schätzen kannst, wie viel Zeit vergangen ist. Du wirst verhört, dein Buddy neben dir auch. Du sollst nichts sagen, nur deine Personenkennziffer, deinen Namen, deinen Dienstgrad. Mehr dürfen sie nicht fragen. Aber denen ist scheißegal, was sie dürfen. Sie schreien, drohen, schubsen. Geht alles noch, du hältst durch, ist eine Ausbildung, es kann ja nichts passieren. Sie lassen dich eine Weile allein mit dem Buddy. Dann kommt eine Frau rein. Guckt, höhnt ein bisschen rum von wegen kleiner Schwanz und so. Du starrst stur an die Wand. Dann reißt die sich plötzlich die Bluse auf, schreit, die anderen kommen rein, sie hysterisch‚ der hat mich angepackt, der Drecksack, und ehe du dich versiehst, schleifen sie deinen Buddy raus. Dann brüllen sie dich an, was dir einfällt, die Frau anzufassen. Und draußen hörst du Schläge und deinen Buddy schreien, es kann nur dein Buddy sein. Natürlich ist es jemand anderes, der schreit, ein Ausbilder, aber das kannst du jetzt schon nicht mehr richtig unterscheiden, Realität und Szenario. Du bist müde von der Flucht, total unterkühlt, zitterst.«
Therese merkte, dass ihr die Tränen kamen. Sie schluckte sie runter.
» Und dann verhandelst du. Er hat nichts gemacht, ich hab auch nichts gemacht, lasst ihn in Frieden. Dann geht ein Ausbilder raus und kommt wieder. Baut sich vor dir auf und sagt, also dein Buddy hat uns eben erzählt, dass du die Frau angefasst hast. Bums. Du denkst, nein, das hat er nicht, und wenn, dann nur, weil die ihn geschlagen haben. Aber Moment, die schlagen ihn doch nicht, ist doch ’ne Ausbildung. Ist doch alles Fake. Du denkst dir, Selbstbewusstsein, das brauchst du jetzt, einen klaren Kopf. Du sagst, nein, hat er nicht gesagt, er lügt nicht. Fehler. Der Ausbilder sagt, aha, dann lüge ich wohl? Du willst sagen, das habe ich nicht gemeint, aber in dem Moment hast du schon eine sitzen. Eine Ohrfeige. Zum ersten Mal seit wie vielen Jahren? Zum ersten Mal als erwachsener Mann kriegst du eine Ohrfeige. Du bist empört, da kriegst du gleich noch eine hinterher und noch ein paar drauf. Und da kriegst du Schiss. Weil sie dich
Weitere Kostenlose Bücher