Feindberührung - Kriminalroman
Stunde rücken wir ab in die Kaserne, um unsere Vorurteile zu bestätigen.«
Kertsch lächelte säuerlich.
» Hören Sie auf. Ich habe gerade mit Schubert telefoniert, deswegen wollte ich zu Ihnen.«
» Ach?«
» Ich sage es mal offen: Schubert ist ein Opportunist in des Wortes reinster Bedeutung. Er nutzt Gelegenheiten.«
Kertsch bedeutete Grewe, ihm zu folgen.
» Der Mann ist ein gewiefter Taktiker und neigt nicht dazu, riskante Aussagen zu treffen, auf die man ihn festnageln kann, es sei denn, er ist sich der positiven Konsequenzen oder zumindest des Ausbleibens negativer Folgen für sein eigenes Fortkommen absolut sicher.«
Sie kamen am Lift an, Kertsch drückte den Knopf, dann schwieg er, obwohl klar war, dass er noch etwas sagen wollte.
Es machte » Pling«, und die Lifttüren öffneten sich, beide Männer stiegen ein, Kertsch drückte den Knopf für seine Büroetage.
» Herr Grewe, er war heute unerträglich selbstsicher und ätzend am Hörer.«
Grewe wurde es ein wenig flau im Magen. Der Lift stoppte, und sie gingen in Kertschs Büro. Seine Sekretärin war noch nicht im Dienst.
Kertsch schloss die Tür hinter ihnen. Grewe lockerte seinen Schlips und setzte sich auf den Stuhl, den Kertsch ihm anbot.
Der Chef selbst nahm direkt vor Grewe auf seinem Schreibtisch Platz. Das flaue Gefühl wurde stärker.
» Ich habe Schubert diese Vorurteilsbehauptung um die Ohren geschlagen.«
» Was hat er gesagt?«
» Er hat sehr süffisant gelacht. Und dann sprach er über einen leitenden Ermittler, der aufgrund eigenen Versagens während seiner Dienstzeit einen heftigen Groll gegen die Brigade hege. Ich habe das natürlich als lächerlich zurückgewiesen.«
Grewe wurde es richtig schlecht.
» Aber ich frage mich: Woher weiß er über Ihre Vergangenheit Bescheid?«
Eisblaue Augen, kaltes Wasser über die schon klamme Kleidung, der Beton unter den Knien, ein Hagel von Ohrfeigen.
Grewe atmete schwer, dann fasste er einen Entschluss.
» Ich kann Ihnen sagen, von wem er das weiß.«
Therese steuerte den Dienstrenault aus der großen Einfahrt der Direktion, die anderen Zivilfahrzeuge folgten. Die Kollegen von der Hundertschaft machten sich direkt aus ihren Unterkünften auf den Weg zur Kaserne.
Es dämmerte über der Stadt. Der vom nassen Asphalt zurückgeworfene Schein der Straßenbeleuchtung und das schwache Licht des beginnenden Tages erzeugten eine Katerstimmung. Sie fühlten sich nicht wie Polizisten auf dem Weg zur Arbeit, sondern wie Heimkehrer aus einer frustrierenden Nachtschicht.
Grewe war noch wie benommen von dem Gespräch mit Kertsch. Kertsch hatte über das vorzeitige Ende seiner Bundeswehrzeit grob Bescheid gewusst. Grewe war bei der Einstellung damals offen damit umgegangen, und es stand in seiner Personalakte. Aber die Details kannte er nicht. Grewe hatte einen Versuch unternommen, seinem Chef die ganze Geschichte zu erzählen, aber der wollte sie nicht hören.
» Das geht mich, das geht die Behörde nichts an. Es ist über zwanzig Jahre her, Sie sind einer der besten Ermittler, die mir in meiner Dienstzeit begegnet sind, und es gab nie Anlass zur Sorge über Ihre Urteilsfähigkeit. Wenn Sie sich in der Lage sehen, in die Kaserne zu fahren, dann fahren Sie. Alles andere könnte nach Schwanzeinziehen aussehen.«
Zuerst war Grewe erleichtert gewesen, dass er nicht hatte beichten müssen, aber mittlerweile bedrückte ihn das Schweigen gegenüber seinen Kollegen mehr als je zuvor. Mit Kertsch zu reden wäre ein guter Anfang gewesen.
Er schaute aus dem Fenster, aber er nahm nichts richtig wahr. Als er die Augen schloss, um sich zu konzentrieren, fiel ihm etwas ein. » Hat der Pagels jetzt eigentlich Urlaubssperre verhängt?«
Therese schüttelte den Kopf.
» Nein, ich halte das auch für überflüssig. Wenn heute einer fehlt, ist er dran. Das ist ja jedem klar.«
Grewe nickte.
Diesmal war die Wache auf die Ankunft vorbereitet, und schon beim Einbiegen von Thereses Wagen schwang die Schranke auf. Der Obergefreite, der heute Posten stand, musste ziemlich lange grüßen, bis alle Fahrzeuge durch waren. Die Kollegen von der Hundertschaft waren unterwegs auch zur Kolonne gestoßen.
Im Kasernengelände hatten die Feldjäger schon das Regiment übernommen. Sie standen mit Warnwesten und Kellen bereit, um den Polizeifahrzeugen den Weg zu weisen; sie mussten sich auf mehrere Parkplätze und vor den Instandsetzungshallen verteilen.
Grewe und Therese wurden von einem Major in Empfang genommen.
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