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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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beschäftigt.
    Der Mann runzelte die Stirn, sein Gesicht verfinsterte sich. »Meinen Sie einen dieser Menschen, die behaupten, sie könnten mit den Geistern der Toten in Verbindung treten, und die das Geld verletzlicher Menschen nehmen, um Stimmen und Zeichen hervorzubringen?« Er konnte seine Missachtung kaum deutlicher formulieren. Ging sie auf seine religiöse Überzeugung oder darauf zurück, dass er sich selbst betrogen fühlte? In seinen Augen lag ungeheuchelter Zorn; nichts war von dem freundlichen und umgänglichen Herrn geblieben, der er noch vor wenigen Augenblicken gewesen war. Er fuhr fort, vielleicht weil er merkte, dass Pitt ihm aufmerksam zuhörte: »So etwas ist äußerst gefährlich, Mr. Pitt. Ich wünsche niemandem etwas Böses, aber solchem Tun sollte unbedingt Einhalt geboten werden, auch wenn ich es nicht für richtig halte, dass jemand das auf gewalttätige Weise getan hat.« Pitt wusste nicht, was er denken sollte. »Gefährlich, Mr. Wray? Vielleicht habe ich Sie in die Irre geführt. Am Tod dieser Frau gab es nichts Okkultes, man hat sie einfach umgebracht. Ich hätte von Ihnen gern etwas über die anderen dabei Anwesenden erfahren, nicht über das Göttliche.«
    Wray seufzte. »Sie sind ein Mann Ihrer Zeit, Mr. Pitt. Heute umtanzen wir Mr. Darwin und das goldene Kalb der Naturwissenschaft, statt Gott die Ehre zu geben, der uns geschaffen hat. Doch die Macht von Gut und Böse dauert fort, ganz gleich, wie wir sie jeweils entsprechend dem Zeitgeist maskieren. Sie setzen voraus, dass das Medium nicht die Macht besaß, über das Grab hinauszureichen, und damit haben Sie
wahrscheinlich Recht. Das aber bedeutet nicht, dass es eine solche Macht nicht gibt.«
    Trotz der Wärme des Raumes überlief es Pitt kalt. Es war voreilig von ihm gewesen, Wray sympathisch zu finden. Er war alt, reizend, freundlich und von großzügigem Wesen, und da er sich einsam fühlte, hatte er Pitt zum Mittagessen eingeladen. Er liebte seinen Garten und seine Katzen. Außerdem glaubte er an die Möglichkeit, die Geister der Toten heraufzubeschwören, und sprach sich zugleich äußerst verärgert über Menschen aus, die das zu tun versuchten. Dieser Fährte musste er auf jeden Fall nachgehen.
    »Es war die Sünde Sauls«, fuhr Wray ernsthaft fort, als hätte Pitt laut gesagt, was er dachte.
    Pitt verstand ihn nicht. Zwar wusste er, wer Saul war, konnte sich aber aus seiner Schulzeit an nichts erinnern, was zu diesem Hinweis gepasst hätte.
    »König Saul«, fuhr Wray fort, plötzlich wieder freundlich. Fast schien es, als wolle er sich für etwas entschuldigen. »Die Hexe von Endor sollte für ihn den Geist des Propheten Samuel heraufbeschwören.«
    »Ach.« Pitt war von Wrays angespanntem Gesichtsausdruck gebannt. Mit einem Mal strahlte dieser Mann eine nahezu übermenschlich wirkende Kraft aus. Er konnte nicht umhin zu fragen: »Und ist es dazu gekommen?«
    »Selbstverständlich«, gab Wray zurück. »Das aber war der Anfang seines Trotzes, seines Hochmuts gegenüber Gott, der sich zu Neid und Zorn steigerte, in Sünde bis hin zum Tode.« Sein Gesicht war tiefernst. Ein winziger Muskel in seiner Schläfe zuckte unwillkürlich. »Man soll nie die Gefahr unterschätzen, die darin liegt, etwas wissen zu wollen, was wir nicht wissen sollen, Mr. Pitt. Es bringt ungeheures Übel mit sich. Meiden Sie es wie die Pest!«
    »Ich habe nicht den geringsten Wunsch, etwas über solche Dinge in Erfahrung zu bringen«, sagte Pitt aufrichtig. Mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Schuldbewusstsein merkte er, wie leicht jemand das sagen konnte, der keinen unerträglichen Kummer litt, keine Einsamkeit wie dieser Mann, und keiner wirklichen Versuchung ausgesetzt war.
    »Ich hoffe sehr, dass ich, wenn ich jemanden verliere, der mir viel bedeutet, Trost im Glauben an die Auferstehung suchen würde, wie Gott sie uns verheißen hat«, sagte er. Es war ihm peinlich zu merken, dass seine Stimme dabei zitterte. Als ihm der Gedanke an Charlotte und die Kinder kam, die sich ohne ihn an einem Ort befanden, den er nie gesehen hatte, überlief ihn ein plötzlicher Schauder. Waren sie in Sicherheit? Noch hatte er nichts von ihnen gehört! Schützte er sie auf die bestmögliche Weise, und genügte das? Und wenn das nun nicht der Fall war? Wenn Voisey seine Rache auf diesem Weg suchte? Das wäre zwar möglicherweise töricht, unkultiviert und übereilt, auch gefährlich für ihn selbst – doch zugleich für Pitt am schmerzlichsten … und endgültig.

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