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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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herzurichten. In der Mitte des Tisches, auf dem eine sorgfältig gebügelte Decke lag, stand eine Porzellanvase voller Blumen. Mary Ann trug eine dicke Gemüsesuppe sowie krosses Brot, Butter und einen weichen, krümeligen Käse auf; dazu gab es hausgemachtes Chutney, aus Rhabarber, wie Pitt vermutete. Die Speisen wie auch der sorgfältig mit auf Hochglanz poliertem alten Silber und Porzellantellern mit blauem Randdekor gedeckte Tisch riefen ihm ins Gedächtnis, wie sehr ihm die häusliche Behaglichkeit fehlte, seit Charlotte und Gracie fort waren.
    Als Nachtisch gab es Pflaumenkuchen mit reichlich Sahne. Es kostete ihn große Überwindung, nicht um eine zweite Portion zu bitten.
    Wie es aussah, schätzte Wray keine Tischgespräche. Vielleicht genügte ihm das Bewusstsein, dass jemand mit ihm am Tisch saß.
    Als sie anschließend in den Garten hinausgingen, fiel Pitt auf einem Tischchen ein Faltblatt ins Auge, das Maude Lamonts Fähigkeiten anpries und in dem sie sich erbötig machte, Trauernden die Geister ihrer geliebten Abgeschiedenen
zurückzubringen, damit sie die Möglichkeit hatten, all das zu sagen, woran sie der frühzeitig eingetretene Tod gehindert hatte.
    Wray ging ihm voraus. Das blendende Licht der Sonne wurde von den bunten Blüten und dem leuchtenden Weiß des Zauns zurückgeworfen. Fast wäre Pitt über die Schwelle der Terrassentür gestolpert, als er ihm folgte.

Kapitel 8
    B ischof Underhill verwandte nicht viel Zeit auf einzelne Gemeindemitglieder. Sofern es aber doch dazu kam, geschah das meist im Zusammenhang mit Feierlichkeiten wie Hochzeiten, Konfirmationen und gelegentlich bei Taufen. Wohl aber gehörte es zu seinen Berufspflichten, den Geistlichen seiner Diözese als Berater zur Verfügung zu stehen, so dass sie zu ihm kamen, um Trost und Hilfe zu suchen, wenn etwas sie bedrängte, das mit ihrer geistlichen Berufung zusammenhing.
    Daher war Isadora daran gewöhnt, besorgte Männer aller Altersgruppen im Hause zu sehen, angefangen von Vikaren, denen die Last ihrer Verantwortung zu groß schien oder die vor Ehrgeiz brannten weiterzukommen, bis zu altgedienten Gemeindepfarrern, denen die Sorge um die ihnen Anvertrauten mitunter zu viel wurde oder die sich von ihren Verwaltungsaufgaben überfordert fühlten.
    Am meisten fürchtete sie Besuche von Männern, die Frau oder ein Kind verloren hatten und mehr Trost und Kraft suchten, als sie in ihren täglichen Glaubensübungen finden konnten. Andere Menschen vermochten sie zu stützen und aufzurichten, doch ihr eigener Kummer drückte sie bisweilen rettungslos nieder.
    An diesem Tag war Reverend Patterson gekommen, ein etwas älterer hagerer Mann, dessen Tochter im Kindbett gestorben war. Mit gebeugtem Haupt, das Gesicht halb in den Händen verborgen, saß er im Arbeitszimmer des Bischofs.
    Isadora brachte das Teetablett herein und stellte es auf das
Tischchen. Ohne das Wort an einen der beiden Männer zu richten, goss sie beide Tassen voll. Sie kannte Patterson so gut, dass sie ihn nicht zu fragen brauchte, ob er Milch oder Zucker haben wollte.
    »Ich dachte, ich würde es verstehen«, sagte Reverend Patterson voll Verzweiflung. »Immerhin wirke ich seit fast vierzig Jahren im geistlichen Amt! Gott weiß, wie viele Menschen ich nach einem Verlust getröstet habe, und jetzt bedeuten mir all die Worte, die ich gesagt habe, nicht das Geringste.« Er hob den Blick zu seinem Bischof. »Warum? Warum glaube ich sie nicht, wenn ich sie mir selbst sage?«
    Isadora erwartete, dass ihr Mann ihm erklären würde, es hänge mit dem Schock zusammen, mit der Empörung und der Qual, und er müsse abwarten, dass die Zeit die Wunde heile. Selbst ein Tod, mit dem man rechnen muss, ist unbegreiflich und übersteigt unser Fassungsvermögen, und es kostet jeden Menschen Mut, sich ihm zu stellen, ganz gleich, ob er sich dem Dienst an Gott geweiht hat oder nicht. Der Glaube bedeutet weder Gewissheit noch nimmt er Schmerzen fort.
    Der Bischof schien nach Worten zu suchen. Er holte Luft und stieß sie dann seufzend wieder aus. »Mein Bester, uns allen widerfährt im Laufe unseres Lebens gelegentlich eine Heimsuchung. Ich bin sicher, dass Sie diese mit Ihrer Seelenstärke überwinden werden. Sie sind ein guter Mensch, vergessen Sie das nicht.«
    Reverend Patterson sah ihn mit unverhülltem Schmerz an. Isadoras Anwesenheit schien ihm nicht bewusst zu sein. »Wenn das stimmt, warum ist mir das geschehen?«, wollte er wissen. »Und warum spüre ich nichts als Verwirrung und

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