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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Schmerz? Warum kann ich Gottes Hand nicht darin erkennen, nirgendwo den Hauch des Göttlichen spüren?«
    »Das Göttliche ist ein unendliches Mysterium«, gab der Bischof zur Antwort und hielt den Blick über den Kopf seines Besuchers hinweg auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Auf seinem Gesicht lag ebenso große Verwirrung wie auf dem Pattersons, und er schien keinerlei Trost zu wissen. »Es geht über unseren Verstand hinaus. Vielleicht wollen wir es nicht begreifen.«
    Das Leid verzerrte Pattersons Züge. Es kam Isadora, die sich nicht zu rühren wagte, weil sie fürchtete, sonst seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, vor, als würde er im nächsten Augenblick seine unendliche Not herausschreien, für die ihm niemand Linderung zu geben vermochte.
    »In all dem liegt keinerlei Sinn!«, sagte er mit erstickter Stimme. »Sie hat gelebt, und wie, mit dem Kind in ihrem Leibe! Die Vorfreude auf die bevorstehende Geburt hat sie erfüllt … und geblieben ist nichts als Leiden und Tod. Wie ist das möglich? Darin liegt doch kein Sinn! Das ist nicht nur grausam, sondern auch dumm, so, als wäre das ganze Universum sinnlos.« Er schluchzte tief auf. »Warum habe ich mein Leben lang den Leuten gesagt, es gibt einen gerechten und liebenden Gott, der alles zum Besten wendet, und wir würden das eines Tages erkennen? In dem Augenblick, da ich selbst auf dieses Wissen angewiesen bin … ist nichts als Finsternis um mich herum … Finsternis und Schweigen. Warum?« Seine Stimme wurde eindringlicher, zorniger. »Warum? War mein ganzes Leben eine absurde Posse? Antworten Sie mir.«
    Der Bischof zögerte. Schwerfällig verlagerte er das Gewicht von einem auf das anderen Bein.
    »Antworten Sie mir!«, rief Patterson.
    »Mein Bester …«, stotterte der Bischof. »Mein Bester … Sie wandeln durch ein finsteres Tal … wir alle durchleben Zeiten, in denen uns die Welt ungeheuerlich vorkommt. Die Furcht legt sich wie die schwarze Nacht auf alles, und eine Morgendämmerung … scheint uns unvorstellbar …«
    Isadora ertrug es nicht länger. »Mister Patterson, natürlich empfinden Sie den Verlust als schrecklich«, sagte sie eindringlich. »Wenn man einen Menschen wirklich liebt, muss dessen Tod schmerzen, vor allem, wenn dieser Mensch jung ist.« Sie trat einen Schritt vor, ohne auf den verblüfften Gesichtsausdruck ihres Mannes zu achten. »Aber dieser Verlust ist Bestandteil unserer menschlichen Erfahrung, das gehört zu Gottes Plan. Dabei geht es gerade darum, dass es bis an die Grenze dessen schmerzt, was wir ertragen können. Letzten Endes läuft alles auf die Frage hinaus, ob Sie Gott vertrauen oder nicht. Wer ihm vertraut, erträgt die Pein, bis das tiefe Tal durchschritten
ist. Wenn nicht, sollte man besser anfangen zu überlegen, was man glaubt, und sich bis in die tiefste Tiefe seiner Seele erkunden.« Sie senkte die Stimme und fuhr fast liebevoll fort: »Ich denke, Ihre Lebenserfahrung wird Ihnen sagen, dass Ihr Glaube da ist … nicht immer, aber meistens. Und das genügt.«
    Erstaunt hob Patterson den Blick zu ihr. Während er über ihre Worte nachzudenken begann, milderte sich der Ausdruck der Qual auf seinem Gesicht allmählich.
    Der Bischof wandte sich ihr mit ungläubigem Gesicht zu. Es wirkte so schlaff, als wenn er schliefe, und eine Leere lag auf seinen Zügen, die darauf zu warten schien, dass sie durch Gedanken gefüllt wurde.
    »Ich muss schon sagen, Isadora«, setzte er an, sprach aber nicht weiter. Es war nur allzu deutlich, dass er ebensowenig wusste, was er ihr sagen sollte, wie er gewusst hatte, was er Patterson sagen konnte. Vor allem aber schien er von einer tiefen Empfindung beherrscht zu sein, die stärker war als seine Wut oder seine Verlegenheit. Seine übliche Selbstgefälligkeit war dahin, sein ihr nur allzu gut bekanntes festes Vertrauen in seine Fähigkeit, auf alle Fragen eine Antwort zu finden. Zurückgeblieben schien eine klaffende Wunde.
    Sie wandte sich an Patterson. »Ein Mensch stirbt nicht, weil er gut oder böse ist«, sagte sie entschieden. »Und mit Sicherheit auch nicht, um andere zu bestrafen. Eine solche Vorstellung ist ungeheuerlich. Wenn es sich so verhielte, würde dadurch die Wirklichkeit von Gut und Böse aufgehoben. Es gibt Dutzende von Gründen, aber oft ist es einfach nichts anderes als ein unglücklicher Umstand. Das Einzige, woran wir uns unverbrüchlich und jederzeit halten können, ist das Bewusstsein, dass Gott das Geschick von uns allen lenkt und wir

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