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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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eine Spur schärfer. »Sie würde nie auf Kniffe wie Pedale, Spiegel, Phosphoröl und dergleichen hereinfallen.«
    »Die meisten von uns neigen dazu zu glauben, was sie glauben möchten«, gab Pitt zu bedenken. »Vor allem bei Dingen, die uns wichtig sind. Mitunter ist das Bedürfnis dazu so groß, dass wir gar nicht wagen, etwas nicht zu glauben, weil das unsere Träume zerstören würde, und ohne die müssten wir zugrunde gehen. Vernunft hat wenig mit all dem zu tun. Es geht ums Überleben.«
    Verständnislos sah ihn Tellman an. Wieder schien er etwas dagegen einwenden zu wollen, überlegte es sich dann aber und schwieg. Offensichtlich war ihm noch nicht der Gedanke gekommen, dass es auch in Lena Forrests Herzen Zweifel und Zuneigung geben konnte, dass sie Verstorbene kannte, die einst mit ihrem Leben verwoben waren. Er errötete leicht, als ihm das aufging, wodurch er in Pitts Wertschätzung stieg.
    Langsam erhob sich Pitt. »Ich sehe mir diesen Mister Wray einmal an«, sagte er. »Teddington! Möglicherweise war Maude Lamont tatsächlich so gut, dass jemand es der Mühe für wert hielt, dafür den langen Weg von Teddington zur Southampton Row zurückzulegen.«
    Tellman sagte nichts darauf.
     
    Pitt verschwendete keine Zeit auf die Überlegung, wie er sich Reverend Francis Wray gegenüber verhalten sollte, wenn er ihm gegenüberstand. Die Situation war verfahren, ganz gleich, was er sagte. Da war es am besten, sich gleich ans Werk zu machen, bevor ihn seine Bedenken noch unbeholfener machten.
    Am Bahnhof erkundigte er sich nach der besten Möglichkeit, nach Teddington zu gelangen, und erfuhr, dass er unterwegs umsteigen müsse. Glücklicherweise ging der nächste Zug bereits in elf Minuten. Er ließ sich eine Fahrkarte geben, dankte dem Schalterbeamten und kaufte am Eingang zum Bahnsteig eine Zeitung. Darin ging es in erster Linie um die bevorstehende Wahl. Neben den üblichen saftigen Karikaturen fiel ihm eine Anzeige auf, die ankündigte, es werde in zwei Wochen im Volkspalast an der Mile End Road eine Pferde- und Eselverkaufsschau geben.
    Auf dem Bahnsteig standen außer ihm zwei ältere Frauen und eine Familie, die wohl einen Tagesausflug machte. Unaufhörlich redend, hüpften die Kinder aufgeregt auf und ab. Wie es wohl Daniel, Jemima und Edward in Devon ergehen mochte? Er überlegte, ob ihnen die Gegend gefiel oder ihnen in der ungewohnten Umgebung die üblichen Spielgefährten fehlen mochten. Und vermissten sie ihren Vater, oder gab es so viele Abenteuer, dass sie nicht an ihn dachten? Außerdem war natürlich Charlotte bei ihnen.
    Zu oft hatte er in jüngster Zeit ohne sie auskommen müssen  – erst wegen der Whitechapel-Geschichte und jetzt wegen dieser hier. Im Verlauf mehrerer Monate hatte er so gut wie nie mit Daniel oder Jemima gesprochen und keine Zeit gehabt, sich mit ihnen schwierigeren Themen zu widmen, auf das Ungesagte und nicht nur auf die Worte an der Oberfläche zu hören. Wenn dieser neue Fall um Voisey vorüber war, musste er unbedingt von Zeit zu Zeit einen oder zwei Tage frei nehmen, um mit ihnen zusammen zu sein – ganz gleich, ob der Mörder Maude Lamonts bis dahin gefunden war oder nicht. Zumindest das schuldete ihm Narraway. Er konnte nicht den Rest seines Lebens damit verbringen, dass er vor Voisey davonlief, denn dann hätte sein Gegenspieler kampflos gesiegt.
    Er dachte lieber nicht allzu sehr an Charlotte. Ihre Abwesenheit verursachte ihm einen so tiefen Schmerz, dass er sich weder durch Denken noch durch Handeln verdrängen ließ. Selbst die Träume schmerzten viel zu sehr.
    Unter dem Zischen von Dampf und dem Dröhnen eiserner Räder auf eisernen Schienen fuhr der Zug ein. Rußflocken wirbelten durch die Luft, in der die Hitze der gebändigten Kraft lag. In diesem Augenblick empfand er die Trennung von Charlotte so stark, als wäre sie vorhin erst abgereist. Er musste sich mit Gewalt in die Gegenwart zwingen, und es kostete ihn Überwindung, die Waggontür zu öffnen. Er ließ die beiden älteren Frauen einsteigen, folgte ihnen dann und suchte sich einen Platz.
    Die Fahrt dauerte nicht lange. Schon vierzig Minuten später befand er sich in Teddington. Wie Tellman gesagt hatte, lag die Udney Road nur eine Nebenstraße vom Bahnhof entfernt,
und so stand er schon nach wenigen Minuten Fußweg vor dem schmucken Gartentor des Hauses Nummer vier. Er sah es im Sonnenschein einige Augenblicke an, sog den Duft von einem Dutzend verschiedener Blumen ein und den angenehmen sauberen

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