Feinde der Krone
eigenen Aufgaben kümmern würdest, statt dich in die meinen einzumischen, gäbe es das Problem nicht. Du bist für meine Gesundheit verantwortlich. Damit solltest du dich beschäftigen,
statt zu versuchen, jemanden wie den armen Patterson zu trösten, der das Leben nicht meistert.«
»Den Tod«, verbesserte sie ihn.
»Wie bitte?« Seine Hand fuhr hoch, und er blitzte sie an. Er war wirklich sehr bleich. Auf seiner Oberlippe glänzten Schweißperlen.
»Er sieht sich außerstande, den Tod hinzunehmen«, erklärte sie. »Sie war seine Tochter. Es muss ganz entsetzlich sein, ein Kind zu verlieren, obwohl das weiß Gott vielen Menschen geschieht.« Den Schmerz darüber, dass ihr das nie geschehen würde, verbarg sie in ihrem Innersten. Auch wenn sie sich schon vor vielen Jahren damit abgefunden hatte, kehrte der Gedanke daran von Zeit zu Zeit unerwartet zurück und überraschte sie.
»Sie war kein Kind mehr«, sagte er, »sie war dreiundzwanzig.«
»Großer Gott, Reginald, was zum Kuckuck hat ihr Alter damit zu tun?«, sagte sie gereizt. Es fiel ihr immer schwerer, sich zu beherrschen. »Es ist doch völlig gleichgültig, was seinen Schmerz verursacht hat. Wir haben die Aufgabe, ihm so gut wie möglich Trost zu spenden oder ihm zumindest zu zeigen, dass wir bereit sind, ihn zu unterstützen und ihn daran zu erinnern, dass der Glaube seinen Kummer im Laufe der Zeit lindern wird.« Sie holte tief Luft. »Das gilt auch dann, wenn diese Zeit über das irdische Leben hinausreicht. Gewiss gehört es zu den Hauptaufgaben der Kirche, die Menschen bei Verlusten und Beschwernissen zu unterstützen, die ihnen die Welt nicht zu erleichtern vermag.«
Er stand unvermittelt auf, hustete und legte die Hand auf die Brust. »Es ist Aufgabe der Kirche, Isadora, den richtigen Weg zu weisen, damit die Gläubigen das Ziel errei …« Er hielt inne.
»Reginald, du bist doch nicht krank?«, fragte sie, inzwischen durchaus bereit zu glauben, dass er es war.
»Natürlich nicht«, sagte er aufgebracht. »Ich bin einfach müde und habe eine Magenverstimmung … und einen Rheumaanfall. Es wäre mir lieb, wenn du die Fenster entweder öffnen oder schließen könntest, statt sie immer einen Spalt breit
offen zu halten, so dass es im ganzen Hause zieht!« Seine Stimme klang schroff und enthielt zu ihrer Verblüffung einen Anflug von Furcht. Lag das daran, dass er so kläglich versagt hatte, als er Patterson hätte helfen müssen? Hatte er Angst wegen seiner inneren Schwäche, war er besorgt, weil er meinte, man könne sehen, dass er seiner Aufgabe nicht gewachsen war?
Sie versuchte sich an frühere Zeiten zu erinnern. Sie hatte selbst gehört, wie er Menschen beim Tod von Angehörigen oder auch Sterbende tröstete. Damals war er stärker gewesen; die Worte waren ihm leicht gekommen, Zitate aus der Heiligen Schrift, aus früheren Predigten, die Aussprüche anderer bedeutender Kirchenmänner. Er hatte eine wohlklingende Stimme, das hatte ihr immer an ihm gefallen und gefiel ihr auch jetzt noch.
»Bist du sicher, dass du …« Sie wusste nicht recht, was sie sagen wollte. Stand sie im Begriff, ihm eine Antwort zu entlocken, die sie nicht hören wollte?
»Was?«, fragte er und wandte sich der Tür zu. »Ob ich krank bin? Warum fragst du? Ich habe dir bereits gesagt, dass ich an einer Magenverstimmung und an Gliederschmerzen leide. Hältst du es womöglich für etwas Schlimmeres?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte sie rasch. »Bestimmt hast du Recht. Entschuldige, dass ich mich da so hineinsteigere. Ich werde dafür sorgen, dass die Köchin künftig zurückhaltender mit Gewürzen und süßem Gebäck ist. Außerdem soll sie weniger Gans auf den Tisch bringen – Gans ist ausgesprochen schwer verdaulich.«
»Wir haben seit Jahren keine Gans gegessen!«, stieß er empört hervor und verließ den Raum.
»Noch vorige Woche«, sagte sie zu sich selbst. »Bei den Randolphs’. Da ist sie dir gar nicht bekommen!«
Isadora bereitete sich mit großer Sorgfalt für den Empfang vor.
»Ist es etwas Besonderes, Ma’am?«, fragte ihre Zofe interessiert, fast neugierig, als sie das Haar ihrer Herrin auf dem Kopf auftürmte, so dass deren blasse Stirn in voller Breite zu sehen war.
»Ich vermute nicht«, gab Isadora mit leichter Selbstironie
zurück. »Aber es wäre schön, wenn etwas Besonderes passierte. Wahrscheinlich wird die Sache unsagbar langweilig.«
Martha wusste nicht recht, was sie sagen sollte, verstand aber durchaus. Von den Damen,
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