Feinde der Krone
bei denen sie bisher gearbeitet hatte, war Isadora nicht die erste, die unter der Maske einwandfreien Verhaltens eine tiefe Unruhe verbarg. »Ja, Ma’am«, sagte sie pflichtschuldig und machte sich daran, die Frisur, die Isadora ausnehmend gut zu Gesicht stand, ein wenig gewagter zu gestalten.
Der Bischof kommentierte ihre Erscheinung nicht, weder die kühne Frisur noch das meergrüne Kleid mit dem sehr tief ansetzenden Oberteil und einem exquisiten weißen Spitzeneinsatz – es war die gleiche Spitze, die man dort sah, wo der seidene Rock vorne geschlitzt und hinten in regelmäßigen Abständen elegant hochgerafft war. Er sah sie an und wandte den Blick dann wieder ab, während er ihr in die Kutsche half und dem Kutscher den Befehl zur Abfahrt gab.
Sie saß im Dämmerlicht neben ihrem Gatten und fragte sich, wie es wohl wäre, sich für einen Mann anzukleiden, der sie mit Wohlgefallen betrachtete, dem die Farben und der Schnitt dessen, was sie trug, gefielen, dem nicht entging, wie es ihr schmeichelte, und der sie vor allem schön fand. Die meisten Frauen haben etwas Begehrenswertes an sich, und sei es nur eine anmutige Bewegung oder einen bestimmten Klang ihrer Stimme. Jemanden zu finden, dem das gefiel, war etwa so, als breite man die Schwingen aus und spüre die Sonne auf dem Gesicht.
Es kostete sie große Mühe, den Kopf hochzuhalten, zu lächeln und so zu schreiten, als glaube sie an sich selbst, denn der Bischof hatte ihr nichts in der Art gesagt, so dass sie sich beinahe minderwertig vorkam.
Wieder gab sie sich ihrem Tagtraum hin. Ob ihr Kleid Cornwallis gefallen würde? Angenommen, sie hätte sich für ihn so herausgeputzt – hätte er dann am Fuß der Treppe gestanden und berückt zugesehen, wie sie herunterkam? Vielleicht wäre er sogar davon beeindruckt, wie schön eine Frau auszusehen vermag, beeindruckt von der Seide, der Spitze, dem Parfüm – lauter Dinge, mit denen er wohl ziemlich wenig vertraut war.
Schluss jetzt! Sie durfte ihrer Phantasie nicht die Zügel schießen lassen. Sie wurde tiefrot, als sie sich bei solchen Gedanken ertappte, und wandte sich ganz bewusst dem Bischof zu, um etwas zu sagen, irgendetwas, um den Zauber zu brechen.
Er aber schwieg während der ganzen Fahrt, als habe er gar nicht bemerkt, dass sie neben ihm saß. Das war ungewöhnlich. Sonst sprach er bei solchen Gelegenheiten über die erwarteten Gäste, zählte ihr deren Tugenden und Schwächen auf und erklärte, was man von ihnen an materiellen Beiträgen zum Wohl der Kirche im Allgemeinen und seines Bistums im Besonderen zu erwarten hatte.
»Was können wir deiner Ansicht nach tun, um dem armen Mister Patterson zu helfen?«, fragte sie schließlich, als sie fast am Ziel waren. »Er scheint wirklich großen Kummer zu leiden.«
»Nichts«, gab er zurück, ohne sie auch nur anzusehen. »Die Frau ist tot, Isadora. Gegen den Tod kann niemand etwas unternehmen. Er ist da, unausweichlich, vor uns und um uns herum. Wir können im Licht des Tages sagen, was wir wollen, wenn die Nacht hereinbricht, wissen wir nicht, woher wir kommen, und haben keine Vorstellung davon, wohin wir gehen – falls wir überhaupt irgendwohin gehen. Lass dich nicht dazu herab, Patterson etwas anderes zu sagen. Sofern er Trost im Glauben zu finden vermag, gelangt er aus eigener Kraft dorthin. Du kannst ihm den deinen nicht geben, immer vorausgesetzt, du glaubst und sagst nicht einfach wie die meisten Menschen, was du selbst gern hören möchtest. Jetzt solltest du dich besser bereitmachen. Wir sind gleich da.«
Die Kutsche hielt an. Sie stiegen aus und gingen in das Haus, wo sie erwartet wurden. Wie bei solchen Gelegenheiten üblich, wurde ihr Eintreffen in aller Form angekündigt. Früher hatte sich Isadora jedes Mal gefreut, wenn sie hörte, dass Reginald als Seine Eminenz, der Bischof angekündigt wurde. Diesen Titel hatte sie höher geschätzt als ein Adelsprädikat, da er nicht ererbt, sondern von Gott verliehen war, und er schien ihr unendlich viele Möglichkeiten zu enthalten. Jetzt blickte sie ausdruckslos auf das geräuschvolle Meer von Farben
vor sich, als sie an seinem Arm in den Raum trat. Inzwischen sah sie in diesem Titel nicht mehr als eine Auszeichnung, die Menschen auf jemanden übertragen hatten, der dem von ihnen gewünschten Muster am ehesten entsprach, die Aufmerksamkeit der richtigen Leute auf sich gelenkt hatte und dem es gelungen war, niemanden zu kränken. Er brauchte nicht zu den Mutigen und Kühnen zu gehören
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