Feinde der Krone
und trotz aller Entschlossenheit, keine Gefühle zu zeigen, brach ihre Empörung durch.
»Ja«, stimmte er zu und runzelte die Brauen. »Diese Mitteilung hat Oberinspektor Wetron an die Presse gegeben.«
Sie holte tief Luft. Könnte sie doch das flaue Gefühl in ihrem Magen und ihre Benommenheit beherrschen, die körperlichen Reaktionen, die im Begriff standen, ihre Schwäche offenbar
werden zu lassen! »Als mein Mann das am Frühstückstisch las, wurde er weiß wie ein Laken«, fuhr sie fort. »Dann stand er auf, erklärte, er müsse seine Verabredungen für diesen Vormittag absagen, und verließ das Haus.« Wie sie das sagte, klang es absurd, als halte sie Reginald für den Täter. Dabei bewies sein Verhalten nicht das Geringste; was sie sagte, war lediglich ein Hinweis auf das, was in ihrem Kopf vorging. Keine Frau, die ihren Mann liebte, würde einen so voreiligen Schluss ziehen. Cornwallis würde sie dafür verachten. Ob er etwa annahm, sie suche einen Vorwand, Reginald zu verlassen?
Dieser Gedanke war fürchterlich. Sie musste ihm unbedingt klarmachen, dass ihr diese Zusammenhänge nur langsam und zögernd bewusst geworden waren. »Er ist krank!«, sagte sie stockend.
»Das tut mir Leid«, murmelte er. Er sah schrecklich verlegen drein und schien nicht zu wissen, ob er noch mehr Mitgefühl zeigen sollte.
»Er hat Angst, dass er sterben muss«, fuhr sie eilig fort. »Ich meine, wirklich große Angst. Vermutlich hätte ich es schon vor Jahren merken müssen.« Jetzt sprach sie zu rasch, die Worte überstürzten sich. »Alle Anzeichen waren da, ich hätte nur darauf achten müssen, aber der Gedanke ist mir nie gekommen. Er predigte so eindrücklich … manchmal … mit so großer Überzeugungskraft …« Das stimmte, zumindest, soweit sie sich erinnern konnte. Ihre Stimme wurde leiser. »Aber er hat kein Vertrauen in Gott. Er ist nicht sicher, ob es etwas jenseits des Grabes gibt. Daher hat er eine Spiritistin aufgesucht; er wollte mit Verstorbenen in Verbindung treten, irgendwelchen, einfach um zu wissen, dass sie da waren.«
Er sah verblüfft drein. Sie erkannte das an seinem Gesicht, an seinen Augen, seinem Mund. Er hatte keine Ahnung, was er ihr sagen sollte. Schwieg er aus Mitleid oder vor Abscheu?
Beides empfand sie selbst und außerdem Scham, weil Reginald ihr Mann war. Wie weit auch immer sie sich voneinander entfernt hatten und wie wenig sich auch der eine aus dem anderen machen mochte, sie waren durch all die Jahre ihrer Ehe miteinander verbunden. Vielleicht hätte sie ihm helfen können, wenn ihre Liebe stark genug gewesen wäre? Vielleicht
hatte die Liebe, nach der sie sich sehnte, aber auch nichts damit zu tun; allein schon Mitgefühl für den anderen hätte die Kluft überbrücken müssen, so dass sie ihm eine helfende Hand hätte bieten können. Jetzt war es zu spät.
»Natürlich hatte sie die Möglichkeit, ihn zu erpressen, sobald sie wusste, wer er war«, sagte sie mit kaum hörbarer Stimme, und sie spürte, wie ihr die Röte heiß in die Wangen stieg. »›Anglikanischer Bischof sucht Spiritistin auf, um Beweise für ein Leben nach dem Tode zu finden!‹ Er wäre dem öffentlichen Gespött preisgegeben gewesen, und das hätte ihn zugrunde gerichtet.« Während sie das sagte, begriff sie, wie sehr es der Wahrheit entsprach. Hätte er jemanden getötet, um das zu verhindern? Anfangs war sie völlig sicher gewesen, dass das unmöglich sei – aber war es das wirklich? Was blieb ihm, wenn sein Ruf ruiniert war? Wie sehr hatten seine Krankheit und seine Angst vor dem Tode sein seelisches Gleichgewicht erschüttert? Angst kann beinahe alles verzerren, und nur die Liebe ist stark genug, sie zu überwinden … Doch wie war es um Reginalds Liebe bestellt?
»Es tut mir ausgesprochen Leid«, sagte Cornwallis mit stockender Stimme. »Ich … ich … wünschte …« Er hielt inne, sah sie hilflos an und wusste nicht, wohin mit seinen Händen.
»Werden Sie… nichts unternehmen?«, fragte sie. »Wenn er die Beweismittel findet, vernichtet er sie. Zu dem Zweck hat er sich auf den Weg gemacht.«
Er schüttelte den Kopf. »Es gibt keine«, sagte er ruhig. »Wir haben die Mitteilung lanciert, um zu erreichen, dass der Mann aus der Versenkung auftaucht, damit wir wissen, wer er ist.«
»Ach so …« Sie war benommen. Reginald hatte sich völlig unnötig verraten. Man würde ihn fassen. Die Polizei würde schon auf ihn warten. Genau deshalb aber war sie überhaupt hergekommen, denn es musste
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