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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ist eine Denkgewohnheit. Das wiederhole ich jeden Sonntag, weil es meine Aufgabe ist und ich es mir nicht leisten kann, damit aufzuhören. Aber ich weiß nicht, ob ich es mehr glaube als meine Gemeindemitglieder, die in die Kirche kommen, damit man sieht, dass sie dort sind. Wer Sonntag für Sonntag in seiner Bank kniet, alle Gebete nachspricht, alle Lieder singt und sich den Anschein gibt, als höre er der Predigt zu, erweckt den Eindruck, ein guter Mensch zu sein. Mit den Gedanken indes kann man sonstwo sein … beim Weib des Nächsten, bei seinen Gütern, man kann sich seiner Sünden freuen – wer würde das schon erfahren?«
    »Gott«, sagte sie, vom Ärger in seiner Stimme verblüfft. »Und ganz davon abgesehen, man selbst auch.«
    »Es gibt Millionen von uns, Isadora! Glaubst du wirklich, Gott hat nichts Besseres zu tun, als sich unser dummes Gerede anzuhören? ›Ich will dies‹, ›Gib mir das‹, ›Segne so und so, dann brauche ich nichts für ihn zu tun‹ – das ist doch genau die Art von Anweisungen, die ich meinen Dienstboten gebe, und dafür haben wir sie auch, damit wir nicht alles selbst tun müssen.« Sein Gesicht verzog sich angewidert. »Das kann man
aber nicht als Dienst an Gott bezeichnen; es ist ein Ritual, das wir um unser selbst willen vollführen, um uns gegenseitig zu beeindrucken. Welche Art von Gott wäre das, der so etwas braucht oder damit überhaupt etwas anfangen kann?« In seinen Augen lagen Verachtung und Zorn, als hätte ihn jemand enttäuscht und er begriffe erst jetzt, wie sehr.
    »Wer hat denn eigentlich festgelegt, was Gott will?«, fragte sie.
    Verblüfft gab er zur Antwort: »Die Kirche, seit nahezu zweitausend Jahren! Eigentlich schon immer!«
    »Ich war bisher der Ansicht, dass sie nicht als Selbstzweck existiert, sondern damit wir eine Möglichkeit haben, uns zu vervollkommnen«, sagte sie.
    Ärgerlich zog er die Brauen zusammen. »Manchmal redest du den blühendsten Unsinn, Isadora. Ich bin ein von Gott eingesetzter Bischof. Versuche nicht, mir klarzumachen, was der Sinn der Kirche ist. Du machst dich nur lächerlich.«
    »Wenn du von Gott eingesetzt bist, solltest du nicht an ihm zweifeln«, gab sie ihm zu bedenken. »Wenn du aber von Menschen eingesetzt bist, solltest du besser festzustellen versuchen, was Gott von dir will. Möglicherweise ist es nicht dasselbe.«
    Sein Gesicht erstarrte. Einen Augenblick lang saß er reglos da, dann beugte er sich vor, nahm die Zeitung vom Tisch und hielt sie so hoch, dass sie sein Gesicht verbarg.
    »Francis Wray hat Selbstmord begangen«, sagte er nach wenigen Augenblicken. »Es sieht ganz so aus, als hätte ihm dieser verdammte Polizist Pitt wegen des Mordes an dem Medium zugesetzt, weil er glaubte, Wray wüsste etwas darüber. So ein hirnverbrannter Dummkopf!«
    Sie war entsetzt. Sie konnte sich an Pitt erinnern. Er gehörte zu Cornwallis’ Leuten und war einer der Männer, denen er besonders zugeneigt war. Ihr erster Gedanke war, wie sehr dieser Vorfall Cornwallis schmerzen musste – wegen der Ungerechtigkeit, falls der Bericht nicht stimmte, wegen der Enttäuschung, wenn er entsetzlicherweise doch zutraf.
    »Welchen Grund könnte er gehabt haben, das anzunehmen?« , sagte sie.
    »Das weiß der Himmel allein.« Es klang endgültig, als wäre die Angelegenheit damit erledigt.
    »Was steht denn da?«, wollte sie wissen. »Du hast die Zeitung doch in der Hand.«
    »Es stand schon gestern darin. Heute bringen sie nur sehr wenig darüber«, knurrte er.
    »Und was haben sie gestern gesagt?«, ließ sie nicht locker. »Was wirft man ihm vor? Warum sollte er annehmen, dass ausgerechnet Francis Wray etwas über ein spiritistisches Medium wusste?«
    »Das ist doch völlig unerheblich«, stieß er hervor, ohne die Zeitung sinken zu lassen. »Ohnehin hat sich dieser Pitt gründlich geirrt. Wray hatte mit der Sache nichts zu tun, das ist erwiesen.« Er war nicht bereit, sich weiter zu dem Thema zu äußern.
    Sie goss sich eine zweite Tasse Tee ein und trank ihn schweigend.
    Mit einem Mal hörte sie, wie er die Luft einsog und keuchte. Die Zeitung entglitt seinen Händen, fiel teils auf den Tisch und teils auf seinen Schoß. Sein Gesicht war aschfahl.
    »Was ist mit dir?«, fragte sie, beunruhigt, dass er einen Anfall haben könnte. »Hast du Schmerzen? Reginald? Soll ich –« Sie hielt inne. Er versuchte mühevoll, auf die Beine zu kommen.
    »Ich … muss fort«, sagte er mit heiserer Stimme. Er fegte die Zeitung beiseite, so dass

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