Feinde der Krone
Unterkleid, ließen diese üppiger wirken und erweckten überdies den Anschein, als könne man ihre Taille mit den Händen umspannen. Nur eine äußerst selbstbewusste Frau konnte es riskieren, ein so gewagtes Kleid zu tragen. Mit ihrem aschblonden Haar sah sie darin hinreißend aus.
»Emily! Wie schön, dich zu sehen!«, sagte sie begeistert. Voll Bewunderung musterte sie Emilys Kleid von oben bis unten, begnügte sich aber statt eines Kommentars mit einem freundlichen Blick. »Wie phantastisch, dass du kommen konntest.«
Emily erwiderte ihr Lächeln. »Als hättest du das nicht gewusst!« Sie hob die Brauen. Beiden war klar, dass Rose die Einladung nur angenommen hatte, weil sie die Gästeliste genau kannte.
»Nun, ich habe es mir mehr oder weniger gedacht«, gab sie zu. Sie beugte sich ein wenig näher zu ihr. »Es kommt einem ein bisschen wie der Ball in der Nacht vor Waterloo vor, nicht wahr?«
»Daran kann ich mich nicht erinnern«, murmelte Emily spöttisch.
Rose zog ein Gesicht. »Morgen reiten wir in die Schlacht!«, antwortete sie mit übertriebener Geduld.
»Meine Liebe, wir sind doch schon seit Monaten im Krieg«, sagte Emily, als Jack von einer Männergruppe, die in der Nähe stand, ins Gespräch gezogen wurde. »Wenn nicht seit Jahren!«, fügte sie hinzu.
»Erst schießen, wenn du das Weiße in ihren Augen siehst«, mahnte Rose. »Oder in Lady Garsons Fall das Gelbe. Die Frau trinkt so ungeheuer viel, dass glatt ein Pferd darin ertrinken könnte.«
»Da hättest du erst einmal ihre Mutter sehen sollen.« Emily zuckte elegant die Schultern. »Bei der wäre sogar eine Giraffe ertrunken.«
Rose warf den Kopf in den Nacken und lachte ansteckend. Ein halbes Dutzend Männer drehte sich mit erkennbarem Vergnügen zu ihr um, während ihre Frauen sie missbilligend anfunkelten und sich dann betont abwandten.
Das Esszimmer wurde durch Kronleuchter erhellt, deren Schein sich tausendfach im Kristall auf dem Tisch und im schimmernden Silber auf schneeweißem Leinen brach. Silberschalen voller Rosen schmückten den Tisch, und den langen Geißblattranken in der Mitte entstieg ein betäubender Duft.
An jedem Platz lag eine Karte mit der Speisenfolge – natürlich in französischer Sprache –, die den Namen des jeweiligen Gastes trug. Bei der Suppe konnten die Gäste zwischen Ochsenschwanz und Hummercreme wählen. Links von Emily saß ein angesehener Politiker der Liberalen und zu ihrer Rechten ein großzügiger Bankier. Angesichts dessen, dass ihnen noch acht Gänge bevorstanden, ließ sie die Suppe vorübergehen; der Bankier hingegen entschied sich für Ochsenschwanzsuppe und begann sogleich zu löffeln, was durchaus den Anstandsregeln entsprach.
Emily sah über den Tisch hin zu Jack, doch er war in ein Gespräch mit einem liberalen Abgeordneten vertieft, der gleichfalls seinen Sitz gegen einen ehrgeizigen Herausforderer verteidigen musste. Sie hörte Satzfetzen, denen sie entnahm, dass man sich Sorgen über die irischen Abgeordneten machte, die sich in Gruppen zusammenzuschließen begannen. Das konnte von entscheidender Bedeutung sein, wenn die beiden großen Parteien mit ihren Stimmen dicht beieinander lagen. Die Fähigkeit zur Regierungsbildung hing unter Umständen davon ab, dass man sich der Unterstützung der Anhänger Charles Stewart Parnells versicherte, der einer der wichtigsten Führer im Lager der irischen Befreiungsbewegung war – oder der seiner Gegner.
Emily war der irischen Frage überdrüssig, weil man sich schon so lange darüber in den Haaren lag, wie sie denken konnte.
Trotzdem schien man einem Ergebnis nicht näher gekommen zu sein als damals, da sie in der Schule zum ersten Mal davon gehört hatte. Sie konzentrierte sich darauf, den ziemlich bedeutenden Politiker zu ihrer Linken zu umgarnen, der wie sie den ersten Gang hatte vorübergehen lassen.
Als zweiten Gang trugen die Diener Lachs und Stint zur Wahl auf.
Sie entschied sich für Lachs und machte eine Weile keine Konversation.
Auch die Zwischengänge ließ sie aus, da sie sich weder etwas aus Bries mit Pilzen noch aus hartgekochten Eiern mit Zwiebel-Curry-Sauce machte. Stattdessen versuchte sie, möglichst viel von den Unterhaltungen am Tisch aufzuschnappen.
»Ich denke, wir müssen ihn sehr ernst nehmen«, sagte Aubrey Serracold. Als er sich ein wenig vorbeugte, wobei ihm das blonde Haar seitlich in die Stirn fiel, erkannte man im hellen Licht, wie nachdenklich sein schmales Gesicht wirkte. Auch der sonst ständig
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