Feinde der Krone
Erregung in der Luft lag, wenn es um Machtkämpfe ging und zu spüren war, wie sich hinter einer Maske von Humor, Charme, Reformbegeisterung oder der Behauptung, man wolle der Öffentlichkeit dienen, brennender Ehrgeiz verbarg. Noch hatte sich das Parlament nicht aufgelöst, doch konnte das täglich geschehen, und jeder wusste es. Sobald es so weit war, würde der Kampf offen entbrennen. Er würde nicht länger als etwa eine Woche dauern, dafür aber um so härter sein. Es würde weder Zeit geben, Verteidigungsstellungen aufzubauen, noch Zeit zu zögern oder zu überlegen, wie man den Gegner treffen konnte. Alles würde in der Hitze des Augenblicks geschehen.
Sie wappnete sich, als stehe ein Kriegszug bevor. Zwar war sie sich ihrer Schönheit durchaus bewusst, doch da sie auf die Mitte dreißig zuging und zwei Geburten hinter sich hatte, musste sie sich für besondere Gelegenheiten sorgfältiger herrichten als früher. Statt der jugendlichen Pastelltöne, die sie sonst geschätzt hatte, wählte sie jetzt aus den letzten Pariser Modellen etwas Wagemutigeres und Raffinierteres aus. Über einem Unterrock und Mieder aus mitternachtsblauer Seide trug sie ein schräg geschlitztes hellblaues Kleid mit Grautönen, das den Busen vollständig bedeckte und an der linken Schulter und an der Taille zusammengerafft wurde, von wo es mit weiteren Schlitzen über die Hüfte fiel. An Schultern und Oberarmen hatte es die üblichen Rüschen, und natürlich trug sie Glacéhandschuhe, die bis zu den Ellbogen reichten. Statt für Perlen entschied sie sich für Diamanten.
Mit dem, was sie sah, war sie hochzufrieden. Sie war sich sicher, dass sie es mit jeder Frau an diesem Abend würde aufnehmen können, selbst mit ihrer gegenwärtig engsten Freundin,
der hinreißenden und stets nach der neuesten Mode gekleideten Rose Serracold. Sie hatte Rose vom ersten Tag an sehr gut leiden können und hoffte inständig, dass deren Mann Aubrey seinen Unterhaussitz bekommen würde, war aber keineswegs gewillt, sich auch nur von einer der anderen Frauen in den Schatten stellen zu lassen. Jacks Sitz war ziemlich sicher. Er hatte sein Amt mit Anstand ausgefüllt und auch einige mächtige Freunde gewonnen, die ihm zweifellos zur Seite stehen würden. Dennoch durfte man nichts als selbstverständlich ansehen. Die politische Macht war eine äußerst launische Geliebte und musste bei jeder Gelegenheit hofiert werden.
Ihre Kutsche fuhr vor dem großartigen Anwesen der Trenchards an der Park Lane vor, und sie und Jack stiegen aus. Der Lakai am Eingang hieß sie willkommen, führte sie durch das Vestibül und kündigte sie an. Mit hoch erhobenem Haupt und unendlicher Zuversicht betrat Emily am Arm ihres Mannes den Salon. Oberst Trenchard und seine Gattin begrüßten sie genau um Viertel vor Neun. Auf der ihnen fünf Wochen zuvor zugegangenen Einladung war als Beginn der Gesellschaft halb neun angegeben – eine Viertelstunde später war genau der richtige Augenblick, um einzutreffen. Besser konnte man es nicht machen. Während Pünktlichkeit ordinären Übereifer bedeutete, galt Zuspätkommen als unhöflich. Da man etwa zwanzig Minuten nach dem Eintreffen der ersten Gäste zu Tisch ging, bestand in einem solchen Fall außerdem die Gefahr, dass man hereingeführt wurde, wenn alle anderen bereits das Esszimmer aufsuchten.
Die Etikette schrieb nicht nur die Sitzordnung am Tisch genau vor, sondern auch, in welcher Reihenfolge die Gäste einzogen, so dass jeder, der zu spät kam, ein Chaos hervorrief. Aufsehen durfte man durch Schönheit erregen, wie auch durch Witz, obwohl es in letzterem Fall gewisse Gefahren gab. Wer sich aber bloßstellte, machte sich gesellschaftlich unmöglich.
In der kurzen Zeit bis zum Beginn der Mahlzeit wurden keine Getränke serviert. Man saß gewöhnlich einfach da und tauschte Belanglosigkeiten mit Menschen aus, die man kannte, bis der Einzug in das Esszimmer begann.
Dem Gastgeber mit der ranghöchsten Dame am Arm folgten
die übrigen Gäste streng nach dem Rang der Damen. Den Schluss bildete die Gastgeberin mit dem wichtigsten männlichen Gast.
Emily blieb nicht viel Zeit, mit Rose Serracold zu sprechen, die sie gleich beim Eintreten erspähte. Ein freudiger Ausdruck trat in ihre aquamarinblauen Augen, mit denen sie die eintreffenden Gäste musterte, und den Rock ihres fleischfarbenen Taftkleides raffend, eilte sie rasch an Emilys Seite. Die bordeauxroten Einsätze aus besticktem Brokat auf den Hüften, bei gleichfarbigem
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