Feinde der Krone
anderer Ehefrauen von Männern zusammen, die entweder im Unterhaus waren, dorthin strebten oder ein erhebliches finanzielles Interesse am Wahlergebnis hatten.
»Es wäre mir lieber, sie würden die Sozialisten ernster nehmen, die in jüngster Zeit auf den Plan getreten sind«, sagte Lady Molloy, kaum dass sie Platz genommen hatten.
»Sie meinen Mister Morris und die Webbs?«, fragte Mrs. Lancaster mit großen Augen und einem Lächeln, das ziemlich
spöttisch wirkte. »Haben Sie Mister Webb je gesehen, meine Liebe? Man sagt, dass er zu klein, unterernährt und geistig unterentwickelt ist!«
Das Kichern der Damen klang nicht nur belustigt, sondern auch nervös.
»Seine Frau hingegen ist das Gegenteil«, sagte eine andere rasch. »Sie stammt aus einer sehr guten Familie.«
»Und sie schreibt Kindergeschichten über Igel und Kaninchen!«
»Dahin, nämlich ins Reich der Märchen, gehört die ganze sozialistische Idee, wenn Sie mich fragen«, sagte Lady Warden und lachte.
»Aber nein«, widersprach Rose. Es machte ihr nichts aus, wenn die anderen ihre wahren Gefühle erkannten. »Dass jemand etwas sonderbar aussieht, sollte uns nicht den Blick für den Wert seiner Ideen trüben. Noch wichtiger aber ist, wir sollten erkennen, welche Gefahren für unsere Macht diese Art von Ideen möglicherweise bedeuten. Es wäre klug, solche Menschen auf unsere Seite zu ziehen, statt sie einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen.«
»Die wollen gar nicht auf unsere Seite, meine Liebe«, entgegnete Mrs. Lancaster. »Ihre Ziele sind völlig undurchführbar. Sie wollen nicht mehr und nicht weniger als eine eigene Arbeiter-Partei.«
Die Unterhaltung wandte sich bestimmten Reformen und der Frage zu, wie rasch sie sich durchführen ließen oder ob man sie überhaupt ins Auge fassen sollte. Emily beteiligte sich an der Unterhaltung, aber die wildesten Vorschläge kamen von Rose Serracold, und sie rief damit am meisten Gelächter hervor. Niemand war ganz sicher, wie ernst es Rose mit diesen witzig und hitzig vorgetragenen Äußerungen war – schon gar nicht Emily.
»Wahrscheinlich nimmst du an, dass ich Spaß mache, nicht wahr?«, sagte Rose, als die Gruppe sich auflöste und sie mit Emily allein sprechen konnte.
»Keineswegs«, gab Emily zur Antwort, wobei sie den anderen den Rücken zuwandte. Mit einem Mal war sie ihrer Sache ganz sicher. »Aber ich denke, du wärest gut beraten, dafür zu
sorgen, dass andere das glauben. In der gegenwärtigen Lage halten wir die Fabier zwar für komisch, zugleich jedoch entdecken wir allmählich, dass sie letzten Endes mehr zu lachen haben werden als wir.«
Rose beugte sich aufmerksam vor, und mit einem Schlag war alle Leichtigkeit aus ihrem hübschen Gesicht mit dem ausgeprägten Profil verschwunden. »Genau deshalb müssen wir auf sie hören, Emily, und zumindest die besten ihrer Gedanken selbst übernehmen … eigentlich sogar die meisten. Die Reform wird kommen. Wenn es so weit ist, müssen wir in vorderster Reihe stehen. Alle müssen das Wahlrecht haben, Arme wie Reiche, und zu gegebener Zeit auch wir Frauen.« Sie hob die Brauen. »Mach kein so entsetztes Gesicht! Das ist genauso unvermeidlich wie die Tatsache, dass das britische Weltreich eines Tages aufgelöst werden muss – aber das ist eine andere Angelegenheit. Ganz gleich, was Mister Gladstone sagen mag, es muss Gesetz werden, dass der Arbeitstag in allen Berufen höchstens acht Stunden dauern darf und kein Arbeitgeber das Recht hat, einen Mann zu zwingen, dass er länger arbeitet.«
»Oder eine Frau?«, fragte Emily neugierig.
»Selbstverständlich!«, kam die Antwort ohne das geringste Zögern, als wäre die Frage völlig überflüssig.
Emily spielte die Unschuldige. »Und wenn du deine Zofe bittest, dir um halb neun am Abend eine Tasse Tee zu bringen – gibst du dich dann mit der Antwort zufrieden, dass sie acht Stunden gearbeitet hat, nicht mehr im Dienst ist und du sie dir selbst holen sollst?«
»Touchée .« Rose senkte beschämt den Kopf, wobei sich ihre Wangen röteten. »Vielleicht meinen wir nur die Arbeit in den Fabriken, jedenfalls am Anfang.« Dann hob sie rasch wieder den Blick. »Aber es ändert nichts daran, dass wir voranschreiten müssen, wenn wir überleben wollen, und erst recht, wenn wir irgendeine Art von sozialer Gerechtigkeit anstreben.«
»Die wollen wir alle«, gab Emily zurück. »Nur hat jeder eine andere Vorstellung davon, wie das aussieht … wie man das bewirken soll … und wann.«
»Morgen!«
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