Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
darauf liegende Ausdruck von Selbstironie war ausnahmsweise einmal verschwunden.
    »Großer Gott!«, wandte Emilys Nachbar zur Linken mit geröteten Wangen ein. »Der Mann hat mit zehn Jahren die Schule verlassen, um im Bergwerk zu arbeiten! Sogar seinen Berufskollegen ist klar, dass er im Unterhaus nichts für sie tun könnte. Er macht sich höchstens selbst zum Narren. In Schottland, wo er herkommt, hat er verloren und somit hier in London nicht die geringsten Aussichten.«
    »Natürlich nicht«, sagte der Mann ihm gegenüber, drehte sich aufgebracht um, griff nach seinem Weinglas und hielt es einen Augenblick ins Licht, bevor er daraus trank. Er hatte ein gutmütig-derbes Gesicht. »Wir sind die richtige Partei für den Arbeiter, nicht irgendwelche Fanatiker, die mit Augenrollen aus dem Nichts auftauchen und Spitzhacke und Schaufel schwingen.«
    »Genau diese Art von Blindheit wird der Grund dafür sein, dass wir die Zukunft verspielen!«, gab Aubrey mit größtem Ernst zurück. »Man sollte Keir Hardie nicht so ohne weiteres abtun. Viele Männer werden seinen Mut und seine Entschlossenheit anerkennen und begreifen, dass er besser dasteht
als je zuvor. Sie werden zu dem Ergebnis kommen, dass er auch für sie etwas erreichen kann, wenn er für sich selbst so viel tun konnte.«
    »Soll man sie etwa aus den Kohlengruben rausholen und ins Unterhaus setzen?«, fragte eine Frau in einem klatschmohnroten Kleid ungläubig.
    »Ach je!« Rose drehte ihr Glas zwischen den Fingern. »Womit werden wir dann bloß unsere Kamine heizen? Ich bezweifle, dass die gegenwärtigen Amtsinhaber als Bergleute von irgendwelchem Nutzen wären.«
    Gelächter antwortete ihr, aber es klang schrill und war zu laut.
    Jack lächelte. »Als Scherz am Esstisch ganz witzig – aber es ist nicht ganz so lustig, wenn seine Kollegen auf ihn hören und für Männer seines Schlages stimmen, die voller Reformeifer sind, aber nicht die geringste Vorstellung von den Kosten haben. Ich meine, was uns das wirklich kostet, was Handel und Arbeitsplätze angeht.«
    »Auf den hört doch keiner!«, sagte ein Mann mit weißen Bartkoteletten höflich, doch war seiner Stimme deutlich anzumerken, dass er es für völlig überflüssig hielt, die Sache so ernst zu nehmen wie Jack. »Die meisten haben genug Verstand.« Als er Jacks zweifelndes Gesicht sah, fuhr er fort: »Mensch, Radley, nur die Hälfte der Männer im Lande haben doch das Wahlrecht! Wie viele Bergleute besitzen schon ein Haus oder zahlen mehr als zehn Pfund Miete im Jahr?«
    »Das heißt also«, wandte sich ihm Aubrey Serracold mit weit geöffneten Augen zu, »dass nur die wählen können, die vom gegenwärtigen System profitieren. Das widerlegt das Argument ja wohl, oder?«
    Rasche Blicke wurden getauscht. Niemand hatte mit einer solchen Bemerkung gerechnet, und man konnte deutlich sehen, dass viele sie für unpassend hielten.
    »Was wollen Sie damit sagen, Serracold?«, fragte der Mann mit den weißen Koteletten lauernd. »Etwa, dass man ein funktionierendes System ändern sollte?«
    »Nein«, gab Aubrey zurück. »Aber wenn es für einen Teil der Bevölkerung funktioniert, sollte nicht dieser Teil das Recht
haben, darüber zu entscheiden, ob man es beibehält oder nicht, denn wir alle neigen dazu, die Dinge von unserem eigenen Standpunkt zu sehen und zu bewahren, was unseren Interessen dient.«
    Diener nahmen die benutzten Teller fort und servierten eisgekühlten Spargel. Kaum jemand bemerkte es.
    »Sie haben eine sehr geringe Meinung von Ihren Kollegen, die an der Regierung sind«, sagte ein rothaariger Mann ein wenig säuerlich. »Es überrascht mich, dass Sie einer von uns sein wollen.«
    Aubrey lächelte ungewöhnlich charmant, senkte kurz den Blick und wandte sich dann dem Mann zu. »Aber nein. Ich denke, dass wir alle klug und gerecht genug sind, um unsere Macht nur in dem Ausmaß zu nutzen, wie sie uns zugebilligt wurde. Doch unseren Gegnern traue ich genau das nicht zu.« Für diese Äußerung erntete er Gelächter, doch Emily merkte, dass er die Besorgnis damit nicht vollständig vertrieb – zumindest nicht, was Jack betraf. Sie kannte ihn gut genug, um die Anspannung seiner Hände richtig zu deuten, die sie wahrnahm, während er geschickt mit Messer und Gabel die Spargelspitzen abschnitt. Mehrere Minuten lang sagte er nichts.
    Das Gespräch wandte sich anderen politischen Fragen zu. Der nächste Gang war Wachtel, Moorhuhn oder Rebhuhn. Emily nahm keins von den dreien. Man riet jungen

Weitere Kostenlose Bücher