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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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»Wieder mal ’n herrlicher Tag.«
    »Ja«, stimmte Pitt zu, obwohl er den Mann nicht kannte. »Guten Morgen. Sind Sie neu in diesem Bezirk?«
    »Ja, Sir. Seit zwei Wochen«, sagte der Mann. »So allmählich lernt man die Leute kennen. Vor ein paar Tagen hab ich mit Ihrer Frau gesprochen. Eine sehr angenehme Dame.« Dann stutzte er und fuhr fort: »Seitdem hab ich sie gar nich mehr gesehen. Sie is doch hoffentlich nicht krank? Um diese Jahreszeit wird man ’ne Erkältung nur schlecht los. Dabei is es so schön warm.«
    Gerade als Pitt sagen wollte, dass sie Urlaub mache, durchfuhr ihn eiskalt der Gedanke, der Mann könne im Dienst anderer stehen und weiterberichten, was er erfuhr.
    »Nein«, sagte er forsch. »Vielen Dank, es geht ihr gut. Guten Tag.«
    »Guten Tag, Sir.« Leise pfeifend ging der Postbote weiter.
    »Ich rufe eine Droschke«, erbot sich Tellman.
    »Wir können ohne weiteres zu Fuß gehen«, entgegnete Pitt und dachte nicht weiter an den Postboten. Mit langen Schritten eilte er dem Russell Square entgegen. »Es ist doch kaum einen Kilometer bis zur Harrison Street, gleich hinter dem Findlingsspital.«
    Knurrend machte Tellman einige rasche Schritte, um Pitt einzuholen, der vor sich hinlächelte. Pitt war klar, dass sich Tellman fragte, wieso er ohne Unterstützung der Polizei wusste, wo Kingsley lebte. Bestimmt überlegte er, ob sich der Sicherheitsdienst bereits aus anderen Gründen für den Mann interessierte.
    Schweigend gingen sie um den Russell Square herum, überquerten den verkehrsreichen Woburn Place und setzten ihren Weg durch die Berner Street zum Brunswick Square fort, an dem das riesige altmodische Gebäude des Findlingsspitals aufragte. Sie wandten sich nach rechts, sorgten aber dafür, dass ihr Weg nicht über den Kinderfriedhof führte. Wie immer, wenn er dort war, wurde Pitt von Trauer erfasst, und ein verstohlener Blick zeigte ihm, dass Tellmans Lippen leicht zitterten und er die Augen gesenkt hielt. Mit einem Mal ging ihm auf, dass er in all den Jahren der gemeinsamen Arbeit kaum etwas über die Vergangenheit dieses Mannes erfahren hatte.
Lediglich Tellmans flammenden Zorn über die so oft unverhüllt zu Tage tretende Armut kannte er, und der war ihm inzwischen so vertraut, dass er sich nicht einmal mehr fragte, was für qualvolle Erfahrungen dahinter stehen mochten. Wahrscheinlich wusste Gracie mehr über den Mann mit der undurchdringlichen Miene als Pitt selbst. Allerdings stammte sie auch aus den gleichen schmalen Gässchen und kannte den Überlebenskampf von klein auf. Ihr brauchte man nichts zu sagen, und sie verstand ihn, auch wenn sie möglicherweise eine andere Sicht der Dinge hatte.
    Pitt war als Sohn des Wildhüters auf dem Landgut Sir Arthur Desmonds aufgewachsen, auf dem auch seine Mutter in Dienst stand. Seinen Vater hatte man wegen Wilderei angeklagt und zur Deportation verurteilt – zu Unrecht, davon war Pitt überzeugt. Obwohl der Makel dieser Verurteilung seither auch dem Sohn anhaftete, hatte er nie länger als einen Tag auf sein Essen verzichten müssen und nie in der Gefahr gelebt, überfallen zu werden, höchstens von Gleichaltrigen. Das Schlimmste, was er erlitten hatte, waren einige Schrammen, und gelegentlich hatte ihm der Obergärtner den Hintern versohlt, was er auch reichlich verdient hatte.
    Schweigend gingen sie an dem Kinderfriedhof vorüber. Es gab zu viel zu sagen, und so schwiegen sie.
    »Er hat Telefon«, erklärte Pitt schließlich, als sie in die Harrison Street einbogen.
    »Wie bitte?« Offenbar hatte er Tellman mit dieser Äußerung aus seinen Gedanken gerissen.
    »Kingsley hat Telefon«, wiederholte Pitt.
    »Haben Sie ihn angerufen?«, fragte Tellman. Er schien verblüfft.
    »Nein, aber seine Nummer nachgesehen«, erwiderte Pitt.
    Tellman errötete bis an die Haarwurzeln. Nie wäre ihm der Gedanke gekommen, dass eine Privatperson ein Telefon besitzen könnte, obwohl er wusste, dass es im Hause Pitt eines gab. Vielleicht würde er sich das eines Tages auch leisten können, aber noch war es nicht so weit. Erst kürzlich war er befördert worden, und die neue Stellung war ihm unbehaglich wie ein neuer Kragen. Sie passte noch nicht zu ihm – schon gar nicht
jetzt, da Pitt ihm Tag für Tag auf den Fersen saß und ihm seinen ersten Fall praktisch aus der Hand nahm.
    Sie gingen bis zum Hause Kingsleys nebeneinander. Dort wurden sie eingelassen und durch ein ziemlich dunkles, mit Eiche getäfeltes Vestibül geführt, in dem an drei Wänden

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