Feinde der Krone
anderen?«
Diesmal kam die Antwort ohne das geringste Zögern. »Ich weiß es nicht.«
»Aber Sie waren doch gemeinsam dort?«
»Wir waren gleichzeitig dort«, verbesserte ihn Kingsley. »Wir gehörten in keiner Hinsicht zusammen, außer dass … dass es hilfreich ist, die seelischen Kräfte mehrerer Personen zur Verfügung zu haben.« Er erläuterte nicht, wie das zu verstehen war.
»Können Sie die anderen beschreiben?«
»Sie wissen, dass ich dort war, kennen meinen Namen und meine Anschrift – da müssten Sie doch über die anderen dasselbe wissen?«
Aus dem Augenwinkel sah Pitt, dass in Tellmans Gesicht etwas aufblitzte. Endlich fing Kingsley an, sich wie jemand zu verhalten, dem die Führung anderer Menschen anvertraut war. Pitt überlegte, welches erschütternde Ereignis der Auslöser dafür gewesen sein mochte, dass dieser Mann eine Spiritistin aufsuchte. Im Leben anderer Menschen herumwühlen zu müssen war schmerzlich und abstoßend, aber nur allzu häufig verbargen sich die Motive für einen Mord in grässlichen Vorfällen der Vergangenheit, und um der Sache auf den Grund zu kommen, musste er alles wissen. »Ich kenne den Namen der Frau«, sagte er, »aber nicht den des anderen Mannes. Miss Lamont hat ihn in ihrem Tagebuch lediglich mit einer kleinen Zeichnung in Form einer Kartusche benannt.«
Kingsley runzelte die Brauen. »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen,
denn ich ahne nicht, welchen Grund sie dafür gehabt haben könnte.«
»Können Sie ihn mir näher beschreiben … oder war es doch eine Frau?«
»Nicht genau«, gab Kingsley zurück. »Da es nicht um ein gesellschaftliches Zusammentreffen ging, sind wir einander nicht vorgestellt worden. Soweit ich mich erinnern kann, ist er von durchschnittlicher Größe. Trotz der warmen Jahreszeit trug er einen Mantel, und so kann ich Ihnen über seinen Körperbau nichts sagen. Seine Haare wirkten eher hell als dunkel, möglicherweise sind sie grau. Er hielt sich im Hintergrund des Raumes im Schatten, und die roten Lampenschirme haben alles ein wenig verfärbt. Ich könnte mir denken, dass ich ihn wiedererkenne, wenn ich ihm noch einmal begegne, aber sicher bin ich nicht.«
»Wer kam als Erster?«, mischte sich Tellman ein.
»Ich«, gab Kingsley zur Antwort. »Danach die Frau.«
»Können Sie sie beschreiben?«, fragte Pitt. Er dachte an das lange helle Haar, das um den Knopf an Maude Lamonts Ärmel gewickelt war.
»Ich dachte, Sie wissen, wer sie ist?«, gab Kingsley zurück.
»Ich weiß den Namen«, korrigierte Pitt. »Ich wüsste gern, welchen Eindruck Sie von ihr hatten.«
Kingsley fügte sich. »Sie war groß, größer als die meisten Frauen, sehr elegant, hatte aschblondes Haar und trug eine Art…« Er verstummte.
Pitt spürte, wie sich ihm die Kehle zusammenzog. »Fahren Sie bitte fort!«, murmelte er.
»Der andere Mann kam als Letzter«, sagte Kingsley. »Soweit ich mich erinnere, war das auch bei den vorigen Malen so gewesen. Er kam durch die Terrassentür aus dem Garten und verließ das Haus als Erster.«
»Und wer ging als Letzter?«, fragte Pitt.
»Die Frau«, sagte Kingsley. »Sie war noch da, als ich ging.« Er wirkte unglücklich, als sei er mit der Antwort nicht zufrieden und habe sich damit noch nicht vom Verdacht reingewaschen.
»Der andere Mann ist also durch die Terrassentür in den Garten gegangen«, fasste Pitt sicherheitshalber nach.
»Ja.«
»Hat Miss Lamont ihn begleitet und das Tor zum Cosmo Place hinter ihm verschlossen?«
»Nein, sie ist bei uns geblieben.«
»Und das Mädchen?«
»Sie ist kurz nach unserer Ankunft gegangen. Vermutlich hat sie das Haus durch den Kücheneingang verlassen. Jedenfalls habe ich sie um die Zeit der Abenddämmerung durch den Garten gehen sehen. Sie trug eine Laterne, die sie vor der Haustür abstellte und dort stehen ließ.«
Pitt stellte sich den Gartenweg von der hinteren Seite des Hauses an der Southampton Row vor. Er führte ausschließlich zur Tür in der Mauer, die auf den Cosmo Place ging. »Sie ist also durch die Seitentür hinausgegangen?«, fragte er laut.
»Ja«, sagte Kingsley. »Wahrscheinlich hat sie deshalb die Laterne mitgenommen. Anschließend hat sie sie auf der Treppe vor der Haustür abgestellt. Ich habe ihre Schritte auf dem Kies gehört und das Licht gesehen.«
Tellman zog die Schlussfolgerung aus seinen Worten. »Dann hat entweder diese Frau Miss Lamont getötet – oder Sie oder der andere Mann sind durch das Seitentürchen zurückgekommen und haben
Weitere Kostenlose Bücher