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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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weiter.
    Beide schwiegen eine Weile. Als sie den Blick wieder hob, erkannte sie Panik in seinen Augen. Er sah sie mit einem Ausdruck an, als reichte sein Blick weit über sie hinaus zu etwas Unerträglichem. Seine Hand mit dem Fischmesser zitterte, und auf seiner Oberlippe standen Schweißperlen.
    »Reginald, was ist geschehen?«, fragte sie beunruhigt. Unwillkürlich empfand sie Sorge um ihn. Sogleich ärgerte sie sich darüber. Sie wollte nichts mit seinen Empfindungen zu tun haben, konnte sich aber der Erkenntnis nicht entziehen, dass ihn etwas bis ins Innerste seines Wesens ängstigte. »Reginald?«
    Er schluckte. »Du hast ganz Recht«, sagte er und beleckte sich die rissigen Lippen. »Eins ums andere.« Er sah auf seinen Teller hinab. »Es ist nichts. Ich hätte dich nicht beunruhigen sollen. Natürlich ist es nichts. Ich sehe« – bei diesen Worten zitterte er so sehr, dass es seinen ganzen Körper erschütterte – »zu weit in die Zukunft. Ich sollte mehr Vertrauen in die göttliche … in die göttliche Vorsehung …« Er schob den Stuhl
zurück und stand auf. »Ich esse nicht weiter. Bitte entschuldige mich.«
    Sie erhob sich halb. »Reginald …«
    »Lass es gut sein!«, sagte er kurz angebunden und ging.
    »Aber …«
    Er warf ihr einen funkelnden Blick zu. »Bausch die Sache doch nicht unnötig auf. Ich werde etwas arbeiten und lesen. Ich muss mich näher mit der Sache beschäftigen, muss mehr darüber in Erfahrung bringen.« Er schlug die Tür zu und ließ sie allein und verwirrt im Esszimmer zurück. Sie war ebenso verärgert wie er und fühlte sich immer unbehaglicher.
     
     
    Das Häuschen am Rande von Dartmoor war hübsch. Genau so etwas hatte sich Charlotte erhofft. Doch fehlte ihm ohne Pitt die Seele und damit, was Charlotte betraf, das Wesentliche. Die Verschwörung von Whitechapel, mit der er sich hatte beschäftigen müssen, hatte ihr sehr zugesetzt, und sie hatte die Ungerechtigkeit, mit der man ihn behandelt hatte, stärker empfunden als er selbst. Sie sah ein, dass es sinnlos war, dagegen anzugehen, ohne dass diese Erkenntnis ihre Wut im Geringsten gelindert hätte. Bei der Zeremonie anlässlich der Erhebung Voiseys in den Adelsstand im Buckingham-Palast hatte sie den Eindruck gehabt, man würde Pitt letzten Endes doch Gerechtigkeit widerfahren lassen – immerhin war er wieder auf seinen früheren Posten in der Bow Street berufen worden. Tante Vespasia allerdings hatte einen hohen Preis dafür zahlen müssen, dass Voisey nie Gelegenheit haben würde, Präsident einer Republik Großbritannien zu werden.
    Jetzt war in unerklärlicher Weise alles wieder dahin. Der Innere Kreis war keineswegs in sich zusammengebrochen, wie sie gehofft hatte. Allem zum Trotz besaß er nach wie vor die Macht, dafür zu sorgen, dass Pitt erneut aus seinem Amt entfernt und zurück in den Sicherheitsdienst geschickt wurde. Dort war er nicht nur in untergeordneter Stellung tätig, er besaß auch keine der für diese Arbeit erforderlichen Fähigkeiten und unterstand Victor Narraway, dem Begriffe wie Treuepflicht und Ehrgefühl fremd zu sein schienen. Hätte er sonst
sein Wort gebrochen und Pitt daran gehindert, einen Urlaub anzutreten, den er mehr als verdient hatte?
    Auch hier gab es wieder keine Möglichkeit, sich zu wehren oder auch nur zu beschweren. Pitt war auf die Arbeit im Sicherheitsdienst angewiesen, die nahezu ebenso gut bezahlt wurde wie seine Aufgabe in der Bow Street, und außer seinem Gehalt verfügten sie über keinerlei Einkommen. Zum ersten Mal in ihrem Leben ging Charlotte auf, dass sie nicht nur sehr sorgfältig mit dem Geld haushalten musste, sondern dass durchaus die Möglichkeit bestand, eines Tages nichts mehr zum Haushalten zu haben.
    Also schluckte sie ihre Wut hinunter und tat den Kindern und Gracie gegenüber so, als hätte sie sich nichts Besseres wünschen können als diesen Aufenthalt in der von Sonne und Wind ausgedörrten unwirtlichen Landschaft und als würden sie nur eine kurze Weile allein bleiben. Sie verschwieg ihnen die Befürchtung, dass sie in London nicht sicher waren und sich deshalb an diesem Ort aufhielten, an dem Voisey sie nicht finden würde.
    »Ich hab im ganzen Leben noch nicht so viel Luft gesehen!«, sagte Gracie verblüfft, während sie einen langen, steilen Hang emporstiegen und den Blick über die Unendlichkeit der Heidelandschaft streifen ließen, die sich in den verschiedensten Tönen von Grün und Rotbraun, hie und da mit Gold gesprenkelt, bis weit in

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