Feinde der Krone
Schlachtengemälde hingen. Sie hatten keine Zeit, auf den Messingschildern darunter nachzusehen, um welche Schlachten es sich handelte. Auf den ersten Blick sah es aus, als gehe es bei allen um die napoleonischen Kriege. Eins schien eine Begräbnisszene zu zeigen. Die Verteilung von Licht und Schatten auf ihm war besser als auf den anderen, auch hatte es eine gewisse tragische Wirkung durch die dicht aneinander gedrängten Leiber. Vielleicht zeigte es den Tod Sir John Moores in der Schlacht von La Coruña.
Das in Grün und Braun eingerichtete Empfangszimmer machte mit seiner ledernen Sitzgarnitur und Bücherschränken, in denen schwere einheitlich gebundene Bände standen, einen ausgesprochen männlichen Eindruck. An einer Wand hingen Assagaie und andere Speere, afrikanische Waffen, die deutliche Gebrauchsspuren aufwiesen. Auf dem Tisch in der Mitte stand eine exquisite stilisierte Bronzestatue eines Husaren zu Pferde. Das Tier war glänzend getroffen.
Als der Butler den Raum verlassen hatte, sah sich Tellman aufmerksam um, fühlte sich aber unbehaglich. Es war offenkundig, dass hier ein Mann der höheren Gesellschaftsschicht und ein Angehöriger einer Berufsgruppe lebte, den Tellman erziehungsbedingt verachtete. Zwar hatte er einmal nicht umhin gekonnt, einen Offizier im Ruhestand als menschlich, verletzlich und geradezu bewunderungswürdig anzusehen, doch hielt er diesen nach wie vor für eine Ausnahme. Der Mann, der hier wohnte und dessen Leben sich in diesen Bildern und Einrichtungsgegenständen spiegelte, musste von exzentrischem, ja, geradezu widersprüchlichem Wesen sein. Wie konnte jemand, der das Verabscheuungswürdigste getan hatte, was sich vorstellen ließ, nämlich Männer in den Krieg zu führen, seine Beziehung zur Wirklichkeit so weit verlieren, dass er sich bei einer Frau Rat holte, die behauptete, mit Geistern zu sprechen?
Die Tür öffnete sich, und ein hoch gewachsener, ziemlich
hagerer Mann trat ein. Sein Gesicht wirkte aschgrau, als wäre er krank. Sein Haarschnitt war militärisch kurz und sein Schnurrbart kaum mehr als ein dunkler Fleck auf der Oberlippe. Er hielt sich aufrecht, doch keinesfall aus Vitalität, sondern weil er es ein Leben lang so gewohnt war.
»Guten Morgen, meine Herren. Mein Butler sagt mir, dass Sie von der Polizei sind. Was kann ich für Sie tun?« In seiner Stimme lag keine Überraschung. Vielleicht hatte er in den Zeitungen von Maude Lamonts Tod gelesen.
Pitt war bereits entschlossen, seine Tätigkeit für den Sicherheitsdienst nicht anzusprechen. Mochte Kingsley ruhig annehmen, er und Tellman bearbeiteten den Fall gemeinsam.
»Guten Morgen, General Kingsley«, sagte er. »Ich bin Oberinspektor Pitt, und das ist mein Kollege Inspektor Tellman. Es tut mir Leid, Ihnen sagen zu müssen, dass Miss Maude Lamont vor zwei Tagen ums Leben gekommen ist. Man hat sie gestern Morgen tot in ihrem Haus aufgefunden. Wegen der Umstände ihres Ablebens sind wir gezwungen, der Sache sehr gründlich nachzugehen. Ich nehme an, dass Sie bei ihrer letzten Séance anwesend waren?«
Tellman erstarrte. Wie unverblümt Pitt sprach!
Kingsley holte tief Luft und schien sichtlich erschüttert. Er forderte die Besucher zum Sitzen auf und ließ sich dann selbst in einen der großen Ledersessel sinken. Eine Erfrischung bot er ihnen nicht an.
»Würden Sie uns sagen, was nach dem Zeitpunkt Ihres Eintreffens im Haus in der Southampton Row geschehen ist?«, begann Pitt.
Kingsley räusperte sich. Die Antwort schien ihn Mühe zu kosten. Pitt kam es sonderbar vor, dass einen Offizier, der doch gewiss an Tod und Gewalteinwirkung gewöhnt war, ein Mord so durcheinander bringen konnte. Was war Krieg anderes als Mord im großen Maßstab? Zogen nicht die Männer mit der festen Absicht in den Kampf, möglichst viele Feinde zu töten? Es konnte kaum damit zu tun haben, dass es sich diesmal um eine Frau handelte, denn Frauen waren nur allzu häufig Opfer der mit dem Krieg verbundenen Gewalttätigkeit, von Plünderung und Zerstörung.
»Ich bin kurz nach halb zehn dort angekommen«, begann Kingsley. »Wir wollten um Viertel vor zehn beginnen.«
»War die Séance von längerer Hand vorbereitet?«, unterbrach ihn Pitt.
»Wir hatten die Verabredung in der Vorwoche getroffen«, gab Kingsley zur Antwort. »Es war mein vierter Besuch.«
»Waren jedes Mal dieselben Personen anwesend?«, fragte Pitt rasch.
Kingsley zögerte nur kurz. »Nein. Es war erst das dritte Mal mit genau denselben.«
»Wer waren die
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