Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
zusammengesteckt haben, weil mir die Höhe nämlich nichts ausmacht.«
»Okay, ich geb’s ja zu«, erwiderte ich, während ich starr geradeaus blickte. »Ich habe Angst abzustürzen. Aber es ist ja auch nicht so, als hättest du da oben im Hubschrauber nicht vor Angst gezittert.«
»Ich hatte keine Angst wegen der Höhe, sondern weil ich mir Sorgen gemacht habe, dass ich nicht draufkommen würde, wo wir sind. Wenn ich keine Orientierung habe, kriege ich Zustände.«
Und? Was ging mich das an? Wollte sie etwa die Gelegenheit dazu nutzen, dass wir uns privat ein bisschen besser kennenlernten? Uns gegenseitig unsere Hoffnungen, Träume und Phobien anvertrauten? Na, besten Dank.
Nach stundenlangem Abstieg erreichten wir schließlich ebenes Gelände. Agent Kendrick und ich machten uns von dem Seil los und verstauten die Ausrüstung in den Rucksäcken. Als ich die Umgebung einer genaueren Betrachtung unterzog, traute ich meinen Augen kaum. »Wir befinden uns ja ganz in der Nähe des Hauptquartiers.«
Kendrick nickte und lächelte zaghaft.
»Wusstest du etwa schon, wo wir rauskommen würden, als du unseren Landeplatz ausgesucht hast?«, fragte ich verblüfft und klang genauso beeindruckt, wie ich es auch war.
»Ja«, gestand sie. »Aber nicht sofort. Zuerst war es nur eine Vermutung. Vielleicht bestehen wir die Prüfung ja jetzt und waren sogar die schnellsten. Ich würde zu gern einen Tag freibekommen zur Belohnung.«
»Wirklich imponierend«, erwiderte ich. »Du versuchst nicht einfach nur, diese Sache durchzustehen, du hast auch noch den Ehrgeiz zu gewinnen. Hast du schon einen von den anderen gesehen?«
Sie ließ ihren Blick umherschweifen und seufzte dann. »Entweder sind wir den anderen um Längen voraus, oder aber wir liegen weit zurück. Verdammt schönes Fleckchen Erde. Hier möchte ich meine Flitterwochen verbringen. In einem kleinen Häuschen direkt am Fuß der Alpen.«
Ich wies mit dem Kinn auf den Weg, der unter die Erde führte. »Lass uns erst mal Marshalls Wettkampf gewinnen, dann können wir später immer noch Flitterwochen planen.«
Flitterwochen? Machte sie Witze?
Wir rannten zu dem geheimen Eingang und schoben die riesigen Heuballen zur Seite. Unsere Mienen hellten sich auf, denn höchstwahrscheinlich waren wir die Ersten, die hier durchkamen. Sonst wären die Ballen ja bereits bewegt worden.
»Ich weiß schon, was ich an meinem freien Tag mache«, sagte Kendrick. »Essen, essen und noch mal essen. Vor allem Kuchen, jede Menge Kuchen.«
Mein Fuß tastete bereits nach der Leiter. Die Aufregung ließ Adrenalin durch meine Adern schießen.
Als ich hochblickte, um meine Partnerin anzusehen, hätte ich vor Schreck fast geschrien. Um uns herum tauchten plötzlich mehrere Gestalten auf, die ich im Gegenlicht nur schemenhaft erkennen konnte. Kendricks Aufschrei wurde sofort erstickt. Mir stieg ein seltsames, fast metallisch riechendes Gas in die Nase, dann knallte ein Fuß seitlich gegen meinen Kopf, und ich konnte nichts mehr sehen.
Der dumpfe Schlag, mit dem mein Schädel auf dem Boden aufprallte, hallte mir in den Ohren wider, und das Einzige, woran ich denken konnte, war: Er hat mich gefunden.
Thomas.
Nachdem ich monatelang wie ein Besessener alles gelesen hatte, was in der Datenbank über ihn zu finden war, würden wir uns nun erneut direkt gegenüberstehen.
2
8. Juni 2009, 11:30 Uhr
Glücklicherweise war nur mein Sehvermögen beeinträchtigt, und ich blieb bei Bewusstsein.
»Lass nicht zu, dass sie dich berühren!«, rief ich Kendrick zu, während sich starke Arme um meinen Körper legten.
Ich warf den Angreifer zu Boden und blinzelte in die Sonne. Ganz allmählich konnte ich wieder etwas sehen, doch hatte ich nach wie vor blinde Flecken in meinem Sichtfeld. Blitzschnell zählte ich die Feinde: sechs verschwommene Gestalten gegen uns zwei. Dann konnte ich Kendricks schlanken Körper und ihr langes Haar ausmachen, während sie versuchte, sich vom Boden aufzurappeln. Eine der kräftigeren Gestalten stürzte sich auf sie. Ich sprang instinktiv dazwischen und rammte dem Angreifer meinen Fuß in die Brust, worauf er nach hinten flog. Eine männliche Stimme antwortete mit einem lauten Stöhnen auf meinen Gegenangriff.
Und dieser Gestank! Es roch nach rostigem Metall und Kupfer, und zwar so intensiv, dass ich es schmecken konnte.
In den nächsten dreißig Sekunden nahm ich nur fliegende Ellbogen und Fäuste wahr. Schnelle, stumme Schläge auf verschiedene Körperteile; glücklicherweise
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