Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
In ungefähr zwanzig Sekunden wird unter Ihrem aktuellen Puls eine zweite Zahl aufleuchten. Dabei handelt es sich um Ihren durchschnittlichen Ruhepuls, den Dr. Melvin während der medizinischen Eignungsprüfung gemessen hat.«
Ich schaute auf meine Anzeige und zählte die Sekunden, bis unter meiner 90 die Zahl 63 aufleuchtete. Kendricks Zielpuls lag bei 78, und Stewart hatte den zweitniedrigsten nach mir, nämlich 67.
»Sie haben genau eine Minute Zeit, um Ihren Puls so weit zu senken, dass er nicht mehr als zehn Schläge über Ihrem individuellen Ruhepuls liegt. Sollte Ihnen das nicht gelingen, wird Ihnen durch diese Handschellen eine sich schrittweise steigernde körperliche Züchtigung in Form von Elektroschocks und Hitze verabreicht«, fuhr Marshall in einem ruhigen, desinteressierten Ton fort, als machte er eine Führung durch eine langweilige Sehenswürdigkeit.
Ich schloss die Augen, atmete zehnmal gründlich durch und spürte, wie sich mein Puls verlangsamte. Als ich die Augen dreißig Sekunden später wieder aufschlug, zeigte meine Uhr nur noch 78 an.
Stewart streckte die Beine aus, schlug sie übereinander und streckte sich. Ihr Puls verharrte konstant bei 69. Das war der Grund, weshalb sie sich sowohl auf Verdeckte Operationen als auch auf Auswärtige Politik spezialisierte. Diese Frau war immer entspannt und fühlte sich in jeder Haut wohl; sie konnte vorgeben, alles und jede zu sein.
Zwanzig Sekunden später war mein Wert auf 71 gesunken. Chief Marshall sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Agent Meyer, können Sie mir sagen, was verhindert hat, dass Sie und Agent Kendrick das Hauptquartier in der vorgeschriebenen Zeit erreicht haben?«
»Wir wurden angegriffen, Sir«, antwortete ich prompt.
»Von wem?«, fragte Marshall, legte die Hände auf meinen Stuhl und führte sein Gesicht dicht an meins heran.
71 … 72 … 73 …
»Das kann ich nicht … Keine Ahnung«, sagte ich und versuchte mich zu erinnern, welche Agenten neben Dad eigentlich dabei gewesen waren. Ihre wahren Gesichter hatte ich, auch nachdem sich der Nebel gelichtet hatte, der die Wahnvorstellungen produzierte, nie richtig zu sehen bekommen.
»Denken Sie genau nach, Agent Meyer.«
74 … 75. Hitze strömte durch meine Arme; sie war nicht glühend heiß, aber ich wusste, dass sie sich steigern würde. Kendrick schnappte neben mir nach Luft, aber als ich zu ihr hinschaute, biss sie sich auf die Unterlippe und setzte eine unbeteiligte Miene auf.
Gut. Sie lernt dazu.
Allerdings schnellte ihr Puls hoch und pendelte zwischen 105 und 125.
»Wenn Agent Meyer Sie nicht gestoppt hätte, wäre Agent Freeman möglicherweise nicht mehr am Leben«, sagte Marshall. »Was halten Sie davon? Wie geht es Ihnen damit, dass Ihre Umgebung, Ihre Gedanken auf so drastische und folgenschwere Art verändert werden können?«
Er übertreibt. Ich hätte Freeman nicht umgebracht.
Meine Beine waren frei, und ich musste gegen den Impuls ankämpfen, ihm in den Bauch zu treten. Meinte er das ernst? Was glaubte er wohl, wie es mir damit ging? War echt super. Dads Miene wurde ernst, wahrscheinlich spürte er meine Wut; er sah mich an und schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Diese Erfahrung möchte ich nicht noch einmal machen müssen«, antwortete ich schließlich, mir das verkneifend, was ich eigentlich gern geantwortet hätte.
76 … 77 … 78.
Kendrick neben mir lief der Schweiß übers Gesicht; sie schloss die Augen und atmete schnell und stoßweise.
Mir schoss ein Schmerz durch die Arme und wanderte von dort durch meinen ganzen Körper. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte durch nichts zu erkennen zu geben, wie unwohl ich mich fühlte. Einer der anderen Agenten mehrere Stühle weiter jaulte auf.
»Verraten Sie uns, was das für ein Gas war?«, fragte Mason zwei Stühle weiter. Er klang angespannt, und an seiner Anzeige konnte ich erkennen, dass er ebenso viel Mühe hatte, ruhig zu bleiben, wie Kendrick. Heute trieben sie die Psychospielchen wirklich auf ein ganz neues Niveau hoch.
»Ja«, antwortete Marshall mit seiner dröhnenden Stimme, und seine Aufmerksamkeit wurde von mir abgelenkt. »Die Substanz, die Sie alle heute eingeatmet haben, enthielt eine Chemikalie, die wir noch nicht vollständig identifiziert haben.«
So war es Dad also gelungen, Kendrick aus ihrer Wahnvorstellung zu reißen. Biologische Neuentwicklungen waren ihr Spezialgebiet. Dr. Melvin ließ sie diese merkwürdige Chemikalie bestimmt untersuchen.
»Ist das der
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