Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
ganz. Aber ich weiß nicht, wie lange es noch dauert, bis sie das Seil da oben durchschneiden.«
Ich blickte nach oben. Der Hubschrauber schwebte gut drei Meter über uns; die anderen würden jede Sekunde die Verbindung kappen und die Tür zuschlagen. »Okay, ich bin bereit, wenn du es bist.«
Rasch hangelten wir uns an dem etwa zwölf Meter langen Seil nach unten, doch selbst Kendrick zögerte, als wir das Ende erreichten. Während unsere Füße in der Luft baumelten, versuchten wir den schmalen Felsvorsprung zu erreichen, doch das Seil war ungefähr anderthalb Meter zu kurz. Um auf dem Felsvorsprung landen zu können, mussten wir den Haken lösen, mit dem wir gesichert waren.
Was die Aufgabenstellung anging, war die heutige Prüfung die einfachste von allen, die wir bislang abgelegt hatten: Wir wurden mit verbundenen Augen an einen Ort gebracht, wo wir, zusammen mit unserem Partner, ausgesetzt wurden. Danach bestand unsere einzige Aufgabe darin, den Weg zurück zum Hauptquartier zu finden. Natürlich wurde die Zeit gestoppt, aber die Regeln waren simpel. Die Umsetzung dagegen war nicht ganz so leicht.
»Wir zählen bis drei«, sagte Kendrick und schaute mich an.
Ganz kurz schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass das vielleicht noch ein ganz anderer Test war. Vielleicht sollte ich sie reinlegen, damit sie zuerst sprang. Oder vielleicht würde sie, wenn ich losließ, oben hängen bleiben und wieder in die Sicherheit des Hubschraubers hochgezogen werden, der dann ohne mich davonfliegen würde.
Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden.
»Eins, zwei«, rief ich und führte die Hand zum Entriegelungsknopf. »Drei!«
Kendricks fallender Körper versperrte mir während des Sturzes die Sicht, und der Berg tauchte eher vor mir auf, als ich es erwartet hatte. Ich knallte seitlich mit dem Gesicht gegen den zerklüfteten Felsen und spürte gleich darauf, wie warmes Blut meine Wange hinablief. Meine Füße ertasteten die Oberfläche, während Kendrick und ich die Hüften, die Füße nach außen gedreht, an den Berg pressten.
»Wir haben doch Kletterhaken in unseren Rucksäcken, oder?«, fragte ich.
»Ja«, erwiderte Kendrick atemlos. »Jackson, du blutest.«
Als sie die Hand nach meiner Stirn ausstreckte, zuckte ich zurück und wischte mir schnell mit dem T-Shirt-Ärmel das Blut ab. »Alles in Ordnung. Vergiss es.«
Sie zog ihre Hand zurück und blickte auf den großen Felsen vor uns. »Kannst du in deinen Rucksack greifen und mir einen Haken geben?«
»Hast du denn keine eigenen?«
Sie hielt das Ende des Seils hoch, von dem ich nicht mal mitbekommen hatte, dass es aus dem Hubschrauber geworfen worden war. »Sie haben uns nur ein Seil dagelassen. Wir werden es uns teilen müssen.«
Die Provokation in ihrem Blick war nicht zu übersehen. »Dann reich es mir, und ich werde es für uns beide festbinden.«
»An was willst du es denn festbinden? Hier gibt es nichts als loses Gestein.«
Ich reichte ihr schweigend einen Haken und sah zu, wie sie ihn in den Berg schlug und sorgfältig das Seil daranknotete. Dann zog sie das Seil stramm, griff nach meinem Gurtzeug und hakte mich ein, bevor ich Einwände erheben konnte.
»Das müsste uns beide aushalten«, sagte sie.
Meine Finger klammerten sich an die Felskante. »Du gehst vor.«
Kendrick zuckte mit den Schultern und machte sich an den Abstieg. Unwillkürlich schaute ich nach unten, und Kendricks Gesicht verschwand. Plötzlich sah ich Hollys blonden Schopf vor mir, der vor meinen Augen zu Boden stürzte. Das Blut rauschte mir in den Ohren, und aus meinen Lungen schien alle Luft zu weichen. Nein. Nicht das. Nicht jetzt. Konzentrier dich!
»Jackson?«, fragte Kendrick von unten. »Alles in Ordnung?«
Nein. »Ja, alles gut.«
Rasch drehte ich mich um und ließ mich, den Blick starr auf das Gestein vor mir gerichtet, langsam nach unten. Während der nächsten Stunde kletterte Kendrick schweigend weiter. Es war anstrengend, alle sechs Meter die Haken zu sichern und das Seil neu festzubinden, und die Arbeit erschwerte ein Gespräch.
Die Täler unterhalb von uns waren noch immer ferne grüne Kleckse, als Kendrick plötzlich wieder etwas sagte: »Echt niedlich, dass du noch immer deine Höhenangst zu verbergen versuchst.«
»Das sieht nur so aus«, erwiderte ich und schaute zu ihr nach unten. Als ich sah, wie sie die Augen verdrehte, musste ich beinahe lachen.
»Na ja, wie auch immer. Ich dachte jedenfalls gerade, dass es ganz gut ist, dass sie uns beide
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