Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
fragte ich sie.
Sie nickte, und wir gingen schweigend nach draußen. Es gab nichts zu sagen. Nicht heute Abend.
Kendricks Hände zitterten so heftig, dass sie den Schlüssel nicht ins Schloss zu ihrer Wohnungstür bekam. Ich nahm ihn ihr vorsichtig aus der Hand und schloss auf. Ein Schwall klimatisierter Luft kam uns entgegen, und sie hob den Blick.
»Danke«, sagte sie.
»Lily!«
Wir traten beide ein und waren überrascht, Michael vollständig bekleidet vor dem laufenden Fernseher anzutreffen. Eigentlich sollte er verreist sein. »Gott sei Dank! Ich sehe mir schon seit Stunden die Nachrichten an. Als ich das von dem Unfall im Plaza gehört habe, bin ich, so schnell es ging, von Long Island zurückgekommen. Und ich hab schon hundertmal versucht, dich übers Handy zu erreichen. Ich war mir schon fast sicher –« Seine Stimme bebte. Er verstummte und sah erst mich an, dann Kendrick. »Was ist passiert? Ist das … Blut?«
Senator Healy hatte uns erklärt, es wäre unmöglich gewesen, die Explosion vor den Medien geheim zu halten. Für die Öffentlichkeit wurde sie jedoch als Explosion eines technischen Geräts im Heizungskeller dargestellt. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Erinnerungen an diesem Abend mit Hilfe von Medikamenten modifiziert worden waren, aber darüber konnte ich jetzt auch nicht nachdenken.
Kendrick sah zu mir hin, und ihre Augen weiteten sich vor Schreck, so als würde ihr erst jetzt bewusst, dass sie in Gegenwart ihres arglosen Verlobten nicht die unter Schock stehende Agentin sein konnte, die sie war. »Na ja, also, wir –«
Ich sprang ihr bei, da ihre Hilflosigkeit unübersehbar war. »Wir waren glücklicherweise nicht in der Nähe, als sich die Explosion ereignet hat. Aber da waren ein kleines Kind und seine Mutter, die verletzt worden sind, und Kendrick, ich meine, Lily hat versucht … Du weißt schon.«
»Die Blutung zu stoppen«, beendete sie den Satz für mich.
Michael sank mit einem erleichterten Seufzen zurück auf das Sofa. »O Gott, Lily, das muss schrecklich gewesen sein. Ich glaube nicht, dass ich in meinem Leben schon mal so große Angst hatte. Was ist denn mit dem Kind passiert?«
Wieder suchte Kendrick kurz meinen Blick; ihr liefen bereits die Tränen übers Gesicht. Dann ging sie durch den Raum zu Michael, rollte sich neben ihm zusammen und verbarg ihr Gesicht in seinem Hemd. Er legte den Arm um sie und zog ihr mit der anderen Hand die Schuhe aus.
Ich wusste, dass sie gerade an Mason dachte, ihre Verzweiflung und ihren Schmerz jedoch vor mir zu verbergen suchte. Doch Michael erwartete gar nicht von ihr, dass sie immer tough und stark war. Er hatte kein Problem mit dieser sanfteren, weniger selbstsicheren Kendrick. Ich drehte mich um, ließ die beiden allein und ging in mein stilles, leeres Apartment, das fast nebenan lag.
Dort gönnte ich mir erst mal eine lange heiße Dusche, um den Schmutz und die Schuld von mir abzuwaschen. Danach legte ich mich ins Bett und wählte ein halbes Dutzend Mal Stewarts Nummer, doch sie nahm nie ab. Eigentlich brannte ich nicht gerade darauf, in ihrer Nähe zu sein, aber die Ereignisse des Abends hatten sie sehr mitgenommen, und ich hatte Angst, dass sie durchdrehen oder etwas Verrücktes tun würde.
Nach nur wenigen Minuten lasteten Masons Tod und Stewarts Reaktion so schwer auf mir, dass ich instinktiv zum Sprung durch die Zeit ansetzte. Das Bedürfnis, irgendetwas zu tun, war zu stark, als dass ich es hätte ignorieren können. Da ich wusste, dass Thomas-Sprünge für mich nicht außerhalb des Machbaren lagen, musste ich es wenigstens versuchen. Konnte ich Mason retten? Konnte ich die Ereignisse des heutigen Abends rückgängig machen? Wenigstens die paar letzten Stunden? Mehr war nicht nötig. Und ganz gleich, ob es funktionierte oder nicht – nach diesem Versuch würde ich sofort wieder damit aufhören. Ich würde einen Weg finden, den Teil von mir abzuschalten, der Beziehungen zu Menschen anzuknüpfen begonnen hatte, die ich eigentlich nie in mein Leben lassen wollte.
14
»Verdammt!« Dads Stimme.
»Das ist Ihre Schuld, Agent Meyer!« Chief Marshall.
Chief Marshall stand mit erhobenen Händen neben Dad. Dr. Melvin starrte auf die leere Fläche auf der anderen Zimmerseite. Niemand bemerkte mich.
Dann sah ich ihn. Er lag zu ihren Füßen. Der Mann namens Harold, der angeblich einer von Dr. Ludwigs Klonen war. Das konnte doch nicht sein, dass ich ausgerechnet hier gelandet war, oder? Meine Augen wanderten zum Sofa und
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