Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
tatsächlich – da lag sie. Bewusstlos. Ihre Haare verdeckten ihr Gesicht.
Die 07er Holly.
Dr. Melvin fixierte die Stelle mit den Augen, an der die andere Version von mir soeben verschwunden war. Dies war exakt der Augenblick, an dem ich das Jahr 2007 verlassen und es endlich zurück ins Jahr 2009 geschafft hatte.
Ich bekam kaum mit, wie Dr. Melvin sich räusperte, um Dad und Marshall auf mich aufmerksam zu machen. Der Umstand, dass ich meine 07er Holly dort allein zurückgelassen hatte, war mir immer bewusst gewesen. Alles war genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte; Holly lag noch dort und wartete darauf, dass ich zurückkam.
»Jackson?«, fragte Dad.
Ich schaute gedankenverloren in seine Richtung, bis mir wieder einfiel, wie dringend ich ihn hatte sehen wollen. Ich war nun schon so viele Tage ohne jeden Kontakt zu ihm. Das einzige Problem war, dass ich aufgrund der Ereignisse aus dieser Version von 2007 wusste, dass ich in einer anderen Zeitleiste gelandet war. Nicht, dass ich das vorgehabt hätte. Ganz und gar nicht. Aber es war nicht viel anders, als ihm bei einem Halbsprung zu begegnen.
»Er trägt andere Kleider«, sagte Chief Marshall und betrachtete mich mit seinem Röntgenblick.
»Äh, ja«, murmelte ich und ging näher zu Holly hin.
»Jackson, du musst uns ein bisschen Zeit geben, dir alles zu erklären, bevor zu versuchst, irgendwas anderes zu tun«, sagte Dad und trat auf mich zu. »Ich verspreche dir, dass Dr. Melvin dir alles über Axelle erzählen wird.«
Ich sah wieder Dad an und dann Dr. Melvin und versuchte zu verstehen, was er meinte. »Ich weiß bereits Bescheid über Axelle –« Oh, Moment, jetzt verstehe ich. Sie hatten den Eindruck, dass ich Angst hatte und ihnen nicht traute. Hatte ich mich nicht genau in diesem Moment durch einen Halbsprung aus dem Würgegriff von Chief Marshall gerettet? Jener Halbsprung hatte mich in das Krankenhauszimmer von Courtney geführt. Das alles kam mir Jahre her vor. »Es ist alles gut, Dad. Ich verstehe schon.«
»Tatsächlich?«, fragte Marshall.
»Ja.« Ich kniete mich vor Holly. »Dr. Melvin, wie lange wird es noch dauern, bis sie wieder zu Bewusstsein kommt?«
Er starrte mich mit offenem Mund an. »Ähm, ein paar Stunden wahrscheinlich. Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Ja, es geht mir gut.« Ich rüttelte vorsichtig an Hollys Schultern. »Holly? Hol?«
Sie murmelte etwas Unzusammenhängendes und drehte sich mir zu, doch ihre Augen blieben geschlossen. Ich wusste auch nicht so genau, was ich ihr sagen wollte, aber ich hasste die Vorstellung, dass dieser Moment in der Schwebe bleiben, an einem seidenen Faden hängen würde, während ich ein anderes Leben in einer anderen Zeitleiste führte.
Ich sollte nicht gezwungen sein, mich zu entscheiden. Oder vielleicht sollte es mir auch nicht erlaubt sein, zu wählen.
Dad kniete sich neben mich. »Jackson, wo bist du denn gerade hergekommen?«
»Aus dem Jahr 2009.«
»Wieder? Oder zum ersten Mal?«, fragte Dr. Melvin.
Ich setzte mich vor dem Sofa auf den Boden. »Wieder. Ich war schon mal hier. Ich meine, es ist viel passiert, seit ich hier war.«
»Was denn zum Beispiel?«, fragte Dad.
Ich lachte leise. »Zum Beispiel bin ich jetzt ein Tempest-Agent.«
Dad und Dr. Melvin fingen gleichzeitig an zu reden, aber Marshall hielt eine Hand hoch, um sie zum Schweigen zu bringen. »Erzähl uns nicht mehr. Du musst in diese andere Zeitleiste zurückkehren. Das ist das Beste, um die Sicherheit von allen zu gewährleisten.«
Ich stand auf und nickte. »Ich weiß, wie es funktioniert. Eigentlich wollte ich auch was ganz anderes machen.« Ich schaute erneut Dr. Melvin an. »Der Supersprung oder wie Sie den nennen, der hat offenbar nicht funktioniert.«
»Also sollte deine Mission eigentlich gar nicht hier enden?«, fragte Marshall.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Darf ich Fragen stellen?«
Marshall zog die Augenbrauen hoch, doch Dad nickte.
»Was wäre, wenn ich dich, rein hypothetisch, eine ganze Weile nicht gesehen hätte? Zum Beispiel weil Freeman den Kontakt zu dir verlieren würde? Sollte ich mir dann Sorgen machen?«
Dad und Melvin sahen mich ernst an, dann antwortete Dad: »Nein, mach dir nie Sorgen um mich, bis du einen echten Grund dazu hast.« Er lächelte künstlich. »Keine Nachricht ist immer eine gute Nachricht, nicht wahr?«
»Ja, sicher.« Er konnte nicht wissen, dass ich in den letzten Monaten darauf trainiert worden war, wie ein menschlicher Lügendetektor zu funktionieren.
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