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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Mädchen von etwa sieben
Jahren hinter einem Haufen alter Reifen hervorlinsen. Ich lächelte die Kleine
an, und sie schlug sich die Finger vor den Mund. Als ich auf sie zuging, wich
sie zurück und rannte in Richtung der Schulbaracken. Ich folgte ihr.
    Die Kleine witschte um die Baracken
herum und durchquerte im Zickzack eine Ansammlung von Schrottautos und ausgedienten
Lastwagen. Dahinter lag eine Müllhalde; sie blieb daneben stehen, sah sich um
und stob dann auf die Redwood-Bäume am Rand der Lichtung zu. Ich lief ihr nach.
Die rauhrindigen Stämme wurden dichter; der Teppich aus Nadeln und Moos dämpfte
die Schritte der Kleinen. Für einen Moment verlor ich ihre Spur. Dann hörte ich
Stimmen — ihre und die einer erwachsenen Frau. Ich folgte dem Klang und kam zu
einer kleineren Lichtung.
    Es war der Friedhof des Reservats. Ein
niedriger Metallzaun, die Sorte, die man in der Gärtnerei kauft, um Blumenbeete
einzufrieden. Verwitterte Grabsteine und Holzmarker, manchmal auch nur ein
Häufchen Steine. Plastikblumen, die meisten von der Sonne ausgeblichen, in
üppiger Fülle. Auf einer halbverrotteten Redwood-Bank am jenseitigen Ende saß
eine Frau.
    Anna Gordon.
    Sie hatte den Arm um die Kleine gelegt.
Als sie mich sah, flüsterte sie ihr etwas zu; das Kind rannte wieder zurück in
den Wald und warf mir im Vorbeiflitzen einen feindseligen Blick zu.
    Anna hatte sich erheblich verändert,
seit ich mich im Moonshine House von ihr verabschiedet hatte: Die Falten um
ihre Mundwinkel hatten sich vertieft, ihr Haar war stumpf und ungepflegt; die
Jeans und das T-Shirt schlotterten. Doch es waren ihre Augen, die mir sagten,
daß sie sich auch innerlich verändert hatte: Die Selbstgenügsamkeit hatte sich
zu stählernem Selbstschutz verhärtet. Als sie mich jetzt über die Ruhestätte
ihrer Ahnen hinweg ansah, waren ihre Augen kalt und argwöhnisch, und auf ihrem
Grund erkannte ich ein leises Flackern von Angst.
    Ich sagte: »Niemand weiß, daß ich hier
bin.«
    Sie sah mich an, wartete.
    »Und wenn Sie darauf bestehen, wird es
auch nie jemand erfahren.«
    Kurzes Zögern, dann nickte sie und wies
mit einer Geste auf die Bank. Als ich mich neben sie setzte, kippelte das
wacklige Ding zu meiner Seite — so sehr hatte sie abgenommen.
    Ein Weilchen schwiegen wir beide. Dann
fragte Anna: »Wie sind Sie draufgekommen?«
    »Das Zimmer im Moonshine Cottage, in
dem ich übernachtet habe. Als ich am Packen war, haben Sie mir erzählt, daß Sie
Franny Silva noch am selben Tag erwarteten und daß Sie das Bett selbst beziehen
wollten, weil Sie dann wenigstens etwas zu tun hätten, wenn Suits und ich fort
wären. Ich war im September noch einmal droben — Suits hatte sich nach der
Explosion in dem Häuschen eingeigelt. Auf dem Bett war andere Bettwäsche —
blaue, nicht die, in der ich geschlafen hatte. Vor kurzem ist mir dann
aufgegangen, daß Suits in seiner Verfassung das Bett bestimmt nicht neu bezogen
hatte, und ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht gar nicht im Haus waren,
als es in die Luft flog, sondern im Gästehäuschen.«
    »Nicht gerade viel Material«, sagte
sie. »Bestimmt nicht genug, um deshalb den Weg hier heraufzufahren.«
    »Nein. Zuerst habe ich mir einzureden
versucht, daß ich mich getäuscht hatte, aber es ließ mir keine Ruhe, also war
ich heute noch mal im Cottage, und ich fand die rotbraungestreifte Bettwäsche,
in der ich damals geschlafen habe, im Wäschekorb. Dann war ich im Sheriffs
Department in Mendocino. Franny Silva wurde eine Woche nach der Explosion
vermißt gemeldet. Sie ist nicht wieder aufgetaucht. Ich nehme an, es waren ihre
Füllungen, die Ihr Reservatszahnarzt als seine Arbeit identifiziert hat.«
    Anna zuckte zusammen und schloß die
Augen. »Franny. Mir hat noch nicht mal jemand gesagt, daß sie verschwunden ist;
daß Teenager ausreißen, ist hier an der Tagesordnung. Mein Gott, ich wußte noch
nicht mal, daß sie im Moonshine House eine Leiche gefunden haben; meine Leute
bringen keine Zeitungen von draußen mit, und Fernsehen gibt es hier nicht.«
    Von draußen — das klang, als spräche
sie von einer Welt, der sie für immer den Rücken gekehrt hatte. Die Geschichte
hatte sie eingeholt, genau wie ihre Eltern. Ich fragte mich, ob es schon zu
spät war.
    »Was haben Sie nach der Explosion getan?«
    »Ich bin gerannt. Nur weg vom Cottage,
ich weiß nicht mehr, wohin — es ist alles ein ziemlicher Nebel. Spät in der
Nacht habe ich dann drunten am Küstenhighway ein Auto angehalten und mich

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