Feinde kann man sich nicht aussuchen
Church Street lag dunkel und
friedlich da. In dem Arbeiterviertel, wo ich wohne, geht man unter der Woche
früh zu Bett. Selbst wir Baby Boomer, die wir die Nachbarschaft langsam in eine
Schickeria-Wohngegend umwandeln, stürzen uns am Montag abend nicht ins wilde
Nachtleben.
Normalerweise jedenfalls nicht.
Ich sprengte die Stille, indem ich
meine Wagentür zuknallte und meine Eingangstreppe hinaufrannte. Und fluchte,
während ich mit den Schlüsseln herumfummelte. Die Birne der Wandlampe in der
Diele hatte schon vor über einer Woche ihren Geist aufgegeben, und Mick und ich
waren beide zu faul gewesen, sie auszuwechseln. Ich tastete mich in Richtung
Wohnzimmer, stolperte über ein Paar Schuhe, das ich selbst hatte herumstehen lassen,
und fluchte abermals. Knipste die Lampe neben dem Durchgang an. Micks
Radioanlage stand immer noch auf dem Tisch am Fenster. Ich hockte mich davor
und stellte sie an. Drehte den Senderwahlknopf des MHz-Empfängers auf 121,9 — die
Frequenz der Bodenkontrolle von Oakland. Sah auf die Uhr.
Elf Uhr vier.
Zuerst kam nur Rauschen und Knistern.
Ich stellte die Frequenz genauer ein. Und die Rhythmen der nächtlichen
Ätherwellen wurden zu Worten, so klar, als säße ich im Cockpit der Citabria.
Ich hörte, wie die Bodenkontrolle einen Firmenjet zu Rollbahn zwosieben rechts
dirigierte und dann einer Piper Cub Starterlaubnis für zwo-sieben links
erteilte.
»Bodenkontrolle, hier Cessna drei-drei-fünf-zwo-Delta.
Sichtflug-Nord nach Santa Rosa mit Bravo...«
»...Fünf-Zwo-Delta, Empfang vier-vier-drei-vier,
rollen Sie zu Startbahn drei-vier links...«
»...Bodenkontrolle, wiederholen...«
Ich schloß die Augen, ballte die
Fäuste, wartete auf die vertraute Stimme und das Kennzeichen. Meine Fingernägel
gruben sich in meine Handfläche.
»...Roger, eins-sechs-Yankee...«
»...Kommen, drei-vier-neun...«
»...Warten, Bodenkontrolle...«
Neun nach elf.
»Komm schon«, flüsterte ich, mit den
Fäusten auf meine Oberschenkel hämmernd. »Los!«
»...Eins-sechs-Yankee, bestätigen...«
»...Vier-eins-Romeo, rollen Sie weiter
zum Hauptterminal...«
»...Bodenkontrolle, langsam
wiederholen...«
Elf Uhr vierzehn.
Wie lange noch?
»Los doch, Josh, steig schon ein und
melde dich!«
»...Bodenkontrolle...«
»Sichtflug-Süd nach San José mit
Bravo...«
»Bodenkontrolle Oakland, hier JetRanger
Echo-sechs-zwo-zwo-Tango...«
Ich beugte mich vor und fixierte die
Bedienungsknöpfe des Radios so gebannt, als könnten sie Joshs Gesicht
heranholen. »...Sichtflug-West nach Hunters Point mit Bravo. Erbitte Vorrückerlaubnis
zu Startplatz B.«
»Zwo-zwo-Tango, Empfang ist...«
Hunters Point!
Ich hatte mir die ganze Zeit einen
Zeltplatz irgendwo draußen vorgestellt, und Suits befand sich quasi in meinem
Hinterhof. Die Church Street runter bis zur Army Street, dann geradeaus nach
Osten, unter den Freeways durch, die Third Street bis zur — Zu weit, zu wenig
Zeit. Und dann noch das Problem, am Wachdienst vorbei oder über den Zaun zu
kommen.
Die Polizei. Ruf 911.
Ha! 911 — da kannst du gleich einen
Brief schicken.
Versuch’s, geh selbst hin. Du bist der
einzige Mensch, auf den Suits vielleicht hören wird.
Ich sprang auf und rannte hinunter in
die Garage. Auf der vollgerümpelten Werkbank — irgendwo auf dem
verdammten Ding — lag ein Bolzenschneider, der bei der Renovierung zurückgeblieben
war. Ich knipste das trübe Deckenlicht an, wischte Spinnweben zur Seite, wühlte
herum, bis ich ihn gefunden hatte. Rannte wieder nach oben.
»Bodenkontrolle Oakland, hören Sie
mich...«
Ich drehte den Senderknopf auf 118,3,
die Frequenz des Towers von Oakland.
»...hier eins-sechs-Yankee...«
»...Eins-sechs-Yankee, Start frei...«
»...hier zwo-zwo-Tango. Woran hängt es?«
»Zwo-zwo-Tango, Sie müssen zuerst
anfliegenden Rettungshubschrauber abwarten. Wiederhole — anfliegenden
Rettungshubschrauber abwarten. Bitte bestätigen.«
»Roger, Oakland Tower.«
Ein medizinischer Notfall verschaffte
mir Zeit. Ich wünschte der betreffenden Person alles Gute, stellte das Radio ab
und rannte hinaus zu meinem Auto.
Church Street bis zur Army Street. Dann
nach Osten.
Ampel an der Mission Street
ausgefallen. Ein Stadt-Bus, der Vorfahrt hat, dann mit Vollgas über die
unbeampelte Kreuzung.
An Bernal Heights vorbei. Unter den
Freeways hindurch. Rechts in die Third, mit quietschenden Reifen.
Über den Islands Creek Channel zur Evans
Street. Vergitterte Ladenfronten, dunkle Schatten, wo
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