Feinde kann man sich nicht aussuchen
die Geschichte des Hafens von San
Francisco zu revolutionieren, und ich konnte mein unanständig hohes Honorar
einstreichen und mich wieder meinem Vorhaben widmen, mir einen stabilen
Kundenstamm aufzubauen.
Ich verließ den Freeway 280 an der
Abfahrt Pacifica, erklomm den Hügel und rollte hinunter, dem stumpfgrauen Meer
entgegen. Pacifica besteht aus vielen disparaten Teilen: Reihenhaussiedlungen,
die die Hänge überwuchern, Gewerbegebiete drunten am Wasser, Wohnviertel aller
Art, die sich tief in die Canons hineindrängen. Wegen dieser Vielfalt hat es
nie so etwas wie eine einheitliche Identität entwickelt, abgesehen von der
Tatsache, daß es ein eigentümlicher Ort ist. Hier läuft alles anders als in den
bürgerlicheren Halbinsel-Orten östlich der Hügel. So hat Pacifica
beispielsweise ein Nebel-Festival zur Feier des dumpfig-trüben Sommerklimas;
vor ein paar Jahren setzten die Bewohner in einem einmaligen Anfall von
politischem Aktivismus den gesamten Stadtrat ab. Als ich an der Paloma Avenue
von der Route One abbog, dachte ich kurz darüber nach, daß ich diesen Ort
irgendwie mochte — vielleicht ein Beweis für Raes Behauptung, ich sei selbst
ein bißchen schräg.
Die Carmel Avenue, die ich schon vorher
mit Hilfe des Stadtplans ausfindig gemacht hatte, war ein schmaler, von
Eukalyptusbäumen überschatteter Asphaltstreifen. Die Häuser drängten sich an
der Flanke eines Hügels, auf dem irgend jemand ein Schloß errichtet hatte. Kein
Haus, das nur so aussah, sondern ein richtiges Schloß: Mauern und Zinnen und
Schießscharten, für den Fall, daß der Feind von See her anrückte. Ich hatte es
schon oft vom Küsten-Highway aus gesehen und mir geschworen, eines Tages dort
hinaufzufahren und es mir genauer anzuschauen; jetzt war dafür keine Zeit, und
ich fuhr widerstrebend an dem Auffahrtsweg vorbei.
Die Gebäude an der Carmel Avenue
reichten von Fünfziger-Jahre-Reihenhäusern bis zu architektonisch eigenwilligen
Kompositionen, die faktisch bessere Bretterhütten waren. Autos, Transporter und
Bootsanhänger verstopften die Einfahrten oder standen am Straßenrand neben
einem tückisch aussehenden Entwässerungsgraben. Sid Blessings Adresse war ein
heruntergekommenes Häuschen, an dem planlos herumgebaut worden war: blasig-knallblau
gestrichene Holzschindeln, ein gesprungenes, mit Klebeband zusammengeflicktes
Frontfester, an dem mehrere, dilettantisch ausgeführte Glasmalerei-Werke
hingen. Ein Sortiment Blumentöpfe mit halbtoten Pflanzen zierte die
Vorderveranda; der Rasen, so er je existiert hatte, war völlig verunkrautet.
Ich fuhr den MG in die Einfahrt, neben
einen rostzerfressenen Kleinbus, der hinten mit Betonklötzen aufgebockt war.
Die hölzerne Eingangstreppe wackelte gefährlich, als ich sie erklomm. Die
Türklingel klimperte eine Melodie, die ich kannte, aber nicht gleich
identifizieren konnte. Dann fiel mir der Text wieder ein: »You can’t always get
what you want.« Sehr passend.
Auf mein Klingeln reagierte niemand.
Ich probierte es noch mal, stieg dann die Treppe wieder hinunter und
inspizierte beide Seiten. Links ein Zaun, zu hoch, um drüberzugucken; rechts
ein Tor mit Vorhängeschloß; kein Fenster in der Garagentür.
Das Nachbarhaus war konventioneller:
braunes Holz und verputztes Mauerwerk, gut in Schuß; ein neueres Chevy-Modell
mit Kindersitz hinten stand in der Einfahrt. Ich balancierte den Straßengraben
entlang nach nebenan und ging zur Eingangstür. Dabei bemerkte ich die Worte
»Willkommen in unserem trauten Heim« in grüner Schablonenschrift auf dem
asphaltierten Bürgersteig. Immerhin eine verheißungsvollere Botschaft als die
von Sids Türklingel.
Die Frau im Jogginganzug, die mir
öffnete, war eine junge Asiatin und wirkte genauso heiter wie die Worte auf
ihrem Gehweg. »Die Leute aus dem blauen Haus?« sagte sie, nachdem ich mich
ausgewiesen und meine Frage gestellt hatte. »Über die weiß ich nicht viel. Sie
sind irgendwie... na ja, denen hat noch keiner gesagt, daß wir nicht mehr
Achtundsechzig haben.«
»Alt-Hippies?«
»Nicht direkt; waren damals
wahrscheinlich noch Babys. Vielleicht ist so was ja erblich. Ich weiß nur, ihre
Kinder heißen Ariel und Ariadne, und wenn die Eltern glauben, wir gucken nicht
hin, schmeißen sie ihren Müll in unsere Tonne, weil sie zu geizig sind, die
Müllabfuhr zu zahlen.«
»Aber der Mann hat einen Job?«
»Oh, klar. Geht jeden Morgen aus dem
Haus, in dieser rotbraungrauen Uniform. Sie sind nur zu knickrig, um für den
Müll
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