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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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nicht?«
    »Nein, Ma’am.«
    »Gelangen die Schlüssel je außer Haus?«
    Sie sah auf den stählernen
Schlüsselring, der an ihrem Gürtel hing. »Wir geben sie dem Wachdienst, wenn
wir heimgehen.«
    »Und was ist mit dem Concierge und dem
Reparaturdienst? Geben die ihre Schlüssel auch ab?«
    »Der Reparaturdienst, ja. Der
Concierge... ich hab schon manchmal gesehen, wie er die Schlüssel mitgenommen
hat, wenn er was für die Leute besorgen muß.«
    Ich bedankte mich und ging nach unten
an den Tresen in der Eingangshalle, aber er war nicht besetzt. Als ich den
Portier fragte, erklärte er mir, der Concierge, Sid Blessing, habe sich am
Morgen krankgemeldet. Wegen seiner Adresse verwies er mich wieder an den
Wachdienst.
    »Was soll die Fragerei?« wollte
Mahoney wissen. »Zuerst die Adressen der Portiers, jetzt die von Sid. Können
Sie nicht warten, bis er wieder da ist?«
    »Mr. Gordon wollte —«
    »Mr. Gordon kann mich!« Kaum war es ihr
herausgerutscht, bemerkte sie ihren Fehler. Ihre Wangen glühten auf, und sie
biß sich auf die Lippe.
    »Mahoney, ich werde vergessen, was Sie
da gesagt haben, wenn Sie mir die Adresse geben.«
    Sie drehte sich um, marschierte steif
zu ihrem Schreibtisch, sah in einem Karteikasten nach, kritzelte etwas auf
einen Notizblock, riß das oberste Blatt ab und streckte es mir hin. »Da! Sonst
noch was?«
    Ich mimte Nachdenken, schüttelte dann
den Kopf. »Im Moment nicht, Mahoney, aber halten Sie sich zur Verfügung.«
    Als ich ihr Büro verließ, wurde mir klar,
wie gründlich mir Sue Mahoney immer schon zuwider gewesen war, seit sie mich in
jener einen Nacht abkommandiert hatte, ihre Runden im Monadnock Building zu
übernehmen, weil ihr Nagellack erst noch trocknen mußte. In der Regel war ja
das Begleichen alter Rechnungen nicht halb so befriedigend, wie man es sich
vorher ausgemalt hatte, aber das hier war die Ausnahme.
     
    »Echt — den Arm gebrochen?« Carmen
stellte meinen Kaffee auf den Tresen, verschränkte dann die muskulösen Arme vor
der Brust und guckte grimmig. »Scheißkerl!«
    Ich rührte in meinem Kaffee, nahm einen
Schluck und griff nach dem Zuckerstreuer. Ich süße meinen Kaffee selten, aber
irgendwas mußte ich tun, um dieses mörderische Gebräu trinkbarer zu machen. Das
Lokal war nur halb voll, der Ansturm auf das draußen angekündigte Stevedore’s
Frühstück längst vorbei. Carmen kritzelte eine Summe auf einen Bon, schob
diesen einem wartenden Gast hin und wandte sich wieder mir zu.
    Ich sagte: »Sie waren wohl gestern
nicht so ganz einverstanden mit Suits’... T. J.s Version, wie er neulich in der
Bay gelandet ist.«
    Er guckte weg, schob sich hinter dem
Tresen zu dem Hocker, den der Gast mittlerweile geräumt hatte. Nachdem er die
Scheine und Münzen neben dem leeren Teller an sich genommen und in der
Registrierkasse deponiert hatte, kam er wieder zurück, sichtlich im Zwiespalt.
»Hören Sie, Miss McCone, ich weiß, Sie arbeiten für T. J., aber das tun ein
Haufen Leute, und wie ich es sehe, traut er den meisten nicht über den Weg.
Nichts gegen Sie, aber —«
    »Schon gut.« Ich nahm die Lederhülle
mit meinem Ausweis heraus und ließ sie auf dem Tresen aufklappen. »T. J. hat
mich angeheuert, damit ich herausfinde, wer hinter diesen Sachen steckt. Wenn
Sie möchten, können Sie gern bei ihm nachfragen.«
    Carmen war immer noch hin und hergerissen.
Schließlich ging er sich einen Kaffee einschenken. Dann winkte er mir, ihm zu
einer der Fensternischen zu folgen. »Okay«, sagte er, während er seine
Körperfülle in die Sitzbank mir gegenüber zwängte. »Also, die Sache war so. T.
J. war an dem Abend betrunken — sternhagelvoll. So hatte ich ihn noch nie
gesehen.«
    »Sehen Sie ihn oft?«
    »Meistens ißt er mindestens einmal am
Tag hier, und ein paarmal die Woche kommt er kurz vor Schluß auf ein Bier und
einen Schwatz.«
    »Worüber unterhalten Sie sich?«
    »Über den Hafen. Wie es hier früher
war.« Carmens Blick schweifte ins Leere.
    Ich wußte, was er vor sich sah: das
Hafengebiet in seiner Blütezeit. Die Seemannsspelunken und Heuerbüros; die
Jazzkneipen und Absteigen und die Auffangstellen der Hafenmission; die Frachter
mit Kaffee aus Brasilien, Tee aus China, Gewürzen aus Ceylon, Reis aus
Thailand. Letzten Sommer in San Diego hatte mir ein emeritierter Professor von
der großen Zeit dieses Hafens erzählt, mit der gleichen Wehmut, die ich jetzt
auf Carmens grobem Gesicht sah; obwohl diese beiden Männer Welten trennten,
hatten sie jetzt

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