Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
für mich etwas gemeinsam.
    »Na, jedenfalls«, fuhr Carmen fort,
»wenn T. J. abends herkam, war er meistens schon stundenlang rumgezogen, von
einem Lokal zum andern, um mit den Leuten über früher zu reden. Er hat gesagt,
er versucht, die Vergangenheit in sich aufzusaugen, Verbindung mit den
Hafengeistern aufzunehmen, um rauszufinden, wie es wirklich war.« Er zuckte die
Achseln. »Ich fand, er war ein bißchen verrückt in dem Punkt, aber harmlos.«
    »Und an dem Abend...?«
    »Na ja, wie gesagt, er hatte mächtig
getankt. Bourbon — das roch man. Hat mich erstaunt. Ich habe ihn sonst nie mehr
als ein Bier trinken sehen, und da hat er sich meistens auch nur am Glas
festgehalten. Aber an dem Abend war er randvoll und schon ziemlich daneben.«
    »Inwiefern?«
    »Na ja, er hat angefangen, über den
Hafen zu reden, wie immer. Und dann hat er was erzählt von einem alten Seemann
hier in der Gegend, mit dem er sich angefreundet hat und der in einem Wohnwagen
wohnt, drunten an der Mission Bay. Und hat immer weiter gebrabbelt. Vom Hafen,
aber doch nicht vom Hafen — verstehen Sie, was ich meine? Irgendwas von einer
Eisenbahnüberführung und von zwei Leuten, oder vielleicht waren’s auch drei.
Und noch irgendwas von Wetterleuchten überm Wasser. Ich hab ihn gefragt, ob er
diesen Tunnel meint, von dem er mir immer erzählt, und da war es, wie wenn er
plötzlich zu sich kommt. Er hat geblinzelt und sich umgeguckt, wie wenn er aus
einer Trance oder so was aufwacht, und dann war er plötzlich ganz still.«
    Ich dachte kurz darüber nach. Carmen
streckte seine Riesenhand über den Tresen und legte sie auf meinen Unterarm.
»Miss McCone, Sie wissen doch, diese Typen, die damals in den Sechzigern zu
viele Drogen genommen haben? Die haben das, daß sie zwischendurch ausflippen.
Meinen Sie, T. J....?«
    Suits’ Antwort, als ich ihn gestern
gefragt hatte, ob er auf Koks sei, spulte in meinem Kopf ab: »Drogen sind eine
Achterbahn, die den Preis für das Ticket nicht lohnt.« Früher hatte er jede Menge
Gras geraucht, aber wenn ich es mir recht überlegte, konnte ich mich nicht
erinnern, daß er je etwas Stärkeres konsumiert hatte. »Ich glaube nicht,
Carmen.«
    »Aber was zum Teufel sollte das dann?«
    »Ich weiß nicht. Hat er noch irgend
etwas gesagt, nachdem er... wieder aus dieser Trance erwacht war?«
    »Ja, aber das hat auch nicht viel Sinn
ergeben.« Er schloß die Augen vor lauter Konzentration. »Er hat gesagt... auch
wenn man noch so hart arbeitet, um Sachen zu vergessen, und wenn man glaubt,
man hat sie hinter sich gelassen, schaffen sie’s doch, einen wieder einzuholen.
Man wird dran erinnert, wenn man am wenigsten drauf gefaßt ist, und man merkt,
was man durch seine eigene Dummheit kaputtgemacht hat.«
    Ich prüfte diese Worte im Licht dessen,
was ich über Suits’ Leben wußte, und schüttelte den Kopf. »Und das war alles?«
    »Das war’s. Dann ist er gegangen, und
das nächste, was ich weiß, ist, wie ich ihn aus der Bay gezogen habe. Ich
dachte, er ist reingefallen, weil er so blau war, und hat sich dann diese
Überfall-Geschichte ausgedacht, weil es ihm peinlich war.«
    »Und was denken Sie jetzt?«
    Carmen spreizte die Finger auf dem
Tresen und studierte seine mächtigen Hände, als könnte sich in ihren Linien und
Narben eine Antwort verbergen. »Na ja, ich würde sagen, entweder T. J. hat zur
Zeit eine dicke Pechsträhne, oder da ist jemand hinter ihm her.«
     
     
     
     
     

7
    Eine Eisenbahnüberführung, zwei oder
vielleicht auch drei Leute, Wetterleuchten über dem Wasser. Die
Schlüsselelemente des wirren Geredes, das Suits im Suff von sich gegeben hatte,
kreisten in meinem Kopf, während ich südwärts in Richtung Pacifica fuhr, wo der
Concierge vom Bay Vista wohnte. Irgend etwas, was Suits zu vergessen versucht
hatte, eine Erinnerung, die nicht verlöschen wollte. Aber hatte es etwas mit
seinem akuten Problem zu tun? Und wenn ja, würde er es mir erzählen?
    Ich würde ihn fragen, rechnete aber
nicht damit, daß er sich mir anvertrauen würde. Suits war, soviel hatte ich
begriffen, ein extrem verschlossener Mensch; wenn es eine schmerzliche
Erinnerung war, würde er auf keinen Fall mit irgend jemandem darüber sprechen.
Ich konzentrierte mich wohl besser darauf herauszufinden, wie der Eindringling
gestern abend in sein Penthouse gekommen war. Wenn ich das wußte, hatte ich
gute Chancen, ihn zu identifizieren und den Fall abzuschließen. Dann konnte
Suits sich wieder seinem Vorhaben widmen,

Weitere Kostenlose Bücher