Feinde kann man sich nicht aussuchen
von
Monora; die Einwohnerzahl war übermalt und nicht erneuert worden. Die Straße
tauchte hinab in eine Einkaufszone, wo die Gebäude ebenso rußgeschwärzt waren
wie oben auf dem Hügel: Mellon-Bank, Dutch Boy-Farben, Rexall-Drugstore; ein
eingegangenes Kino, McGlennon’s Pub, Postamt; Steel-City-Pizza, Spirituosen,
ein eingegangenes Damenoberbekleidungs-Geschäft. Jedes dritte Etablissement,
das Monora-Hotel und Frank’s Kaufhaus eingeschlossen, war tot; die Stadt hatte
etwas seltsam Ausgestorbenes, obwohl es erst halb fünf am Freitag nachmittag
war. Autos säumten die Bordsteine, aber ich sah keine Fußgänger außer zwei
Polizisten, die vom Polizeirevier über eine Seitenstraße in einen Doughnut-Shop
strebten.
Ich folgte der Straße zwischen weiteren
verlassenen und verrammelten Gebäuden hindurch und schließlich im Bogen wieder
hinunter zum Fluß. Und dort, auf einer flachen Ausbuchtung des Monongahela-Ufers,
lag das, was mich veranlaßt hatte, Tausende von Meilen zurückzulegen.
Das gigantische stillgelegte Stahlwerk
erstreckte sich über ein Areal von fast einer Meile Länge. Riesige
Wellblechgebäude, von der Korrosion fleckig orangefarben. Laufplanken und
überdachte Verbindungsstege hoch über zugewucherten Bahnschienen. Reihen von
großen Schloten, die nichts mehr emittierten; Uferkais, an denen keine Kähne
lagen; paralysierte Kräne, windschiefe Lagerschuppen, rissiger Asphalt;
Kohlehalden, die nie mehr die längst erkalteten Hochöfen speisen würden. Und
das alles rottete und rostete vor sich hin.
Ich wendete, hielt und stieg aus meinem
Mietwagen. Setzte über den mit Schutt gefüllten Straßengraben und lugte durch
den hohen Maschendrahtzaun. Der Wind hier unten am Flußufer war kräftig und
herbstlich frisch. Von oben kam ein monotones metallisches Scheppern. Ich guckte
hoch, sah ein Metallgitter von einem Verbindungssteg herunterbaumeln und gegen
eine Strebe schlagen. Sonst rührte sich nichts.
Mich überkam das gleiche Gefühl von
Vergänglichkeit und Trostlosigkeit wie damals, als Suits mich nach Hunters
Point mitgenommen hatte. Ich fragte mich, ob seine Pläne für die Wiederbelebung
des Marinestützpunkts wohl Schuldgefühlen wegen dieser Sache hier entsprungen
waren. Wenn ja, war es nur eine kleine Wiedergutmachung; die Schließung des
Keystone-Werks in Monora hatte nicht nur Menschen ihrer Lebensgrundlage
beraubt, sondern auch eine Ära beendet.
In den fünfziger Jahren war das
Stahlwerk eins der größten in Amerika gewesen, mit einem Ausstoß von über fünf
Millionen Tonnen Stahl jährlich. Seine Erzeugnisse — Stahlträger, Bleche,
Schienen, Rundstahl und Draht — waren überall zu finden gewesen, von Küste zu
Küste: in den Wolkenkratzern von Manhattan, den Autos, die in Detroit vom
Fließband rollten, den Eisenbahnzentren des mittleren Westens, den
kalifornischen Freeways. Doch 1957 hatte eine alarmierende Serie zyklischer
Absatzkrisen begonnen. Die Betriebsleitung bezichtigte die Bundesregierung, die
einheimische Stahlindustrie nicht vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen;
sie bezichtigte die Stahlarbeitergewerkschaft ruinöser Gehaltsforderungen und
der Durchsetzung produktivitätsmindernder Arbeitsschutzmaßnahmen. Sie suchte
die Schuld überall, nur nicht bei sich selbst.
Als die Betriebsleitung in neue
Technologien hätte investieren können, hielt sie an den veralteten Siemens-Martin-Öfen
fest. Als sie auf neue Produktlinien hätte setzen können, verwendete sie kaum
Geld auf Forschung und Entwicklung. Als sie produktiv mit den Gewerkschaften
hätte zusammenarbeiten können, versteifte sie sich auf einen
Konfrontationskurs. Im Jahr 1959 wurde die gesamte amerikanische Stahlindustrie
durch Massenstreiks lahmgelegt, die erst endeten, als Präsident Eisenhower die
Arbeiter unter Berufung auf den Taft-Hartley-Act an die Walzstraßen
zurückzwang.
Der schlimmste Einbruch kam für
Keystone Ende der siebziger Jahre: Ein neuer
Zweihundert-Millionen-Dollar-Hochofen — dessen Installation nur unter immensen
technischen Problemen, immer neuen Verzögerungen und haarsträubenden
Kostenüberziehungen gelang — entpuppte sich am Ende, wie mancher es hätte vorhersagen
können, als ruinöse Fehlinvestition. Die Gesellschaft sackte noch tiefer in die
roten Zahlen. Die Reaktion der Betriebsleitung bestand darin, Führungskräfte
und Vorstandsmitglieder samt Gattinnen auf eine großzügig finanzierte
»Fact-Finding«-Expedition zu solchen Zentren der Schwerindustrie wie
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