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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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»Noch mehr
Geschichtsforschung?«
    »Na ja, Sie sehen doch, was hier dabei
herausgekommen ist.«
    »Ein Fall, der mich vermutlich noch für
den Rest meiner Dienstzeit plagen wird.«
    »Das ist nicht gesagt. Und Sie müssen
doch zugeben, daß es für Sie finanziell wesentlich günstiger wäre, mich auf
Kosten meines Klienten hinfahren zu lassen, als jemanden zu schicken oder sich
selbst hinzubemühen.«
    Er sagte achselzuckend: »Wenn Sie die
Reise auf sich nehmen wollen, werde ich Sie nicht davon abhalten.« Dann
kritzelte er etwas auf einen Notizblock und reichte mir das Blatt über seinen
Schreibtisch. »Das hier ist der Polizeichef von Monora. Ich werde Bescheid
geben, daß Sie kommen.«
    Ich sah auf das Blatt. Der Polizeichef
war eine Frau, Nancy Koll. »Danke.«
    »Nein, ich danke Ihnen. Fahren Sie
gleich los?«
    »Wenn ich mich beeile, kriege ich noch
einen Nachtflug von Vegas.«
    »Tja, dann gute Fahrt.«
    Auf dem Weg durch die dunkle Wüste nach
Süden sah ich noch lange die Lichter von Lost Hope im Rückspiegel.
     
    Ich bekam gerade noch den letzten
Nachtflug nach Chicago. Am O’Hare-Flughafen würde ich vierzig Minuten haben, um
den Anschlußflug nach Pittsburgh zu kriegen. Das Flugzeug war fast leer; als
wir unsere Reiseflughöhe erreicht hatten, nahm ich Wolldecke und Kopfkissen aus
dem Fach über dem Fenster, klappte die Armlehnen meines Sitzes und der
Nachbarsitze hoch und rollte mich zusammen.
    Ich döste etwa eine Stunde, war dann
aber plötzlich hellwach. Nachdem ich ein Weilchen versucht hatte, eine
bequemere Liegeposition zu finden, setzte ich mich wieder auf, klemmte das
Kissen zwischen Kopf und Fenster und konzentrierte meine ganze Willenskraft
darauf, mich von den Vibrationen des Flugzeugs einlullen zu lassen. Bis ich mich
schließlich damit abfand, daß ich nicht mehr schlafen würde, und mich gerade
hinsetzte. Und auf das schwarze Fenster starrte und an Hy dachte. Inzwischen
hatte er sicher seine Geschäfte in San Diego abgewickelt. Vielleicht saß er
selbst gerade im Flugzeug nach Osten. Ich gab mich kurz der Phantasie hin, ihn
auf dem O’Hare-Flughafen zu treffen, schob dann aber den Gedanken wieder
beiseite. Soviel Glück hatte ich nie.
    Ich würde um kurz nach acht Uhr morgens
in Chicago ankommen. Dann noch eine Zeitzone weiter, und ich würde kurz vor
zwölf in Pittsburgh landen. Mir einen Mietwagen und eine Karte schnappen, einen
Happen frühstücken und meine Route planen. In einem Motel in der Nähe des
Flughafens ein paar Stündchen schlafen. Und mich dann auf den Weg machen. Nach
Monora, drunten am Monongahela River, auf halbem Weg nach West Virginia.
    Jede Flugmeile brachte mich dem Moment
näher, da ich erfahren würde, wer Annas Mörder war. Mein Möchtegern-Mörder.
Aber er war nicht dort in Pennsylvania; ich würde nach Kalifornien zurückkehren
müssen, um ihn zur Strecke zu bringen. Doch obwohl die Entfernung zwischen uns
immer größer wurde, begann ich allmählich die groben Konturen seiner Person zu
ahnen.
    Die Triebwerke dröhnten vor sich hin,
während die Maschine quer über den Kontinent schoß, der heraufziehenden
Morgenröte entgegen. Ich beobachtete das Spiel von Licht und Dunkel, und mich
überkam ein seltsames Gefühl von Unausweichlichkeit. Mein Klient war ein Mann
aus meiner Vergangenheit, wir hatten den Kontakt wieder aufgenommen, und das
hätte mich um ein Haar das Leben gekostet. Was immer diese Kette von
Ereignissen in Gang gesetzt hatte — es hatte in Monora begonnen; jetzt war ich
auf dem Weg dorthin, um diesen Ursprung aufzudecken. Dieses Gefühl war
beunruhigend und erregend zugleich. Ich hatte mich immer dagegen gewehrt, so
etwas wie Schicksal anzuerkennen, aber es nie versäumt, seinem Ruf zu folgen.
    Auch jetzt, beschloß ich, würde ich die
Dinge einfach kommen lassen.

 
     
     
    Dritter Tei
    Monora, Pennsylvania
    Anfang Oktober

14
    Die Straße verlief parallel zu den
Eisenbahnschienen am Ufer des Monongahela. Auf dem Fluß tuckerte ein mit Kohle
vollbeladener Schleppkahn langsam nach Norden. Rechter Hand erhoben sich steile
Hügel voller rußgeschwärzter Holz- und Backsteinhäuser mit durchhängenden
Dächern. Das Spätnachmittagslicht wirkte der Tristesse auch nicht gerade
entgegen; die einzigen Farbtupfer waren große, orangerote Müllsäcke mit
aufgemalten Kürbiskopfgesichtern, ein vorzeitiger Tribut an Halloween.
    Nach einiger Zeit führte die Straße vom
Fluß weg und ein Stück bergauf. Ein kleines Schild markierte den Ortsbeginn

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