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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Tahiti,
Hongkong und Australien zu schicken. 1982 begann sich die Lage ernsthaft zuzuspitzen:
Entlassungen und Kurzarbeit. Ende der achtziger Jahre schließlich war der
verängstigte Vorstand soweit, fast siebzig Jahre Tradition über Bord zu werfen
und Suits zu holen.
    Niemand, dachte ich, die Finger in die
kalten Drahtmaschen des Zauns gehakt, der den Leichnam dieser einst so
mächtigen und vitalen Produktionsstätte umschloß, niemand konnte das, was hier
passiert war, Suits zum Vorwurf machen. Als man ihn gerufen hatte, war kaum
noch etwas übrig gewesen, womit er hätte arbeiten können.
    Ich dachte an Suits’ Schilderung
dessen, was er bei seiner Ankunft in Monora vorgefunden hatte:
»Fünftausendfünfhundert abgrundtief deprimierte Stahlarbeiter; sie hatten eine
Lohnkürzung nach der anderen hinnehmen müssen, und die Stimmung war so
explosiv, daß Angehörige der Betriebsleitung sich nicht mehr trauten, auf
derselben Straßenseite zu gehen wie die Arbeiter. Geleise, die nur noch zweimal
in der Woche eine Lokomotive befuhr. Ganze Gebäudetrakte geschlossen, andere
nur noch teilweise genutzt. Die Hochöfenhallen waren nur noch leere Hüllen,
aber Keystone konnte es sich nicht leisten, sie abzureißen. Die meisten
Hochöfen waren gesprengt worden, und die Trümmer warteten darauf, abtransportiert zu werden. Es
gab dort regelrechte Friedhöfe von unbenutzten Koksöfen und Maschinen. Und das
sollte ich wieder hochbringen?«
    Aber er hatte Keystone hochgebracht. Er
schickte den Vorstand in einen ausgedehnten Urlaub und feuerte das Management.
Er arrangierte sich nach Kräften mit den Arbeitervertretern. Dann schloß er das
Werk endgültig und verkaufte alles, was irgend zu Geld zu machen war. Vom Erlös
baute er drei Mini-Walzwerke — klein, effizient und jeweils auf ein Produkt
spezialisiert, das unter dem Marktpreis angeboten werden konnte — in Alabama,
wo Boden und Arbeitskräfte billig und Stahlprodukte Mangelware waren. Jetzt
brachte Keystone den Aktionären zwar nicht gerade riesige, aber doch
respektable Gewinne.
    Suits hatte wieder einmal eine Firma
gerettet. Aber um das zu schaffen, hatte er ein Werk, eine Stadt, eine
Lebensform geopfert. Jetzt, da ich diesen Ort gesehen hatte, war ich mir
sicher: Das, was er hier getan hatte, war allemal Grund genug für eine
Terrorkampagne — und letztlich sogar ein Grund zu morden.
     
    Ich merkte auf den ersten Blick, daß
das Polizeirevier von Monora eine Ex-Kneipe war. Die Backstein- und
Glasziegelfassade und die Schwingtür mit den rautenförmigen Fensterchen verrieten
noch die frühere Bestimmung; selbst die Halterung für die Neonschrift war noch
da. Amüsiert stieß ich die Tür auf. Dahinter fand ich das vertraute
Polizeiwachen-Interieur. Der diensthabende Beamte beschied mich, die
Polizeichefin sei im Doughnut-Shop gleich gegenüber, und deutete in Richtung
der Seitenstraße, die ich bei meiner Ankunft die beiden Uniformierten hatte
überqueren sehen.
    Nancy Koll war eine Mittfünfzigerin mit
ausgeprägten Gesichtszügen, knapp einsachtzig groß und von einer herzlichen,
wenngleich etwas schroffen Art. Als ich mich vorstellte, wußte sie gleich
Bescheid. Sie entließ den Beamten, mit dem sie gerade konferiert hatte, und
forderte mich auf, mich zu ihr zu setzen.
    »Der Kaffee hier ist ganz in Ordnung,
aber die Doughnuts kann ich nicht empfehlen«, meinte sie. »Wir benutzen den
Laden als Besprechungsraum, weil er besser geheizt ist als das Revier.«
    Ich bestellte mir einen Kaffee und
fragte, ob Deputy Westerkamp ihr erklärt habe, weshalb ich hier sei.
    »Hat er. Geschickt von ihm, Sie zu
benutzen. Spart seiner Dienststelle Geld.« Sie ereiferte sich über die
Mittelkürzungen im Polizeisektor, und ich begann, sie sympathisch zu finden —
wie es einem meistens mit Leuten geht, die ähnlicher Meinung sind.
    Ich fragte: »Haben Sie schon irgendeinen
Anhaltspunkt, wer Westerkamps Wüstenleiche sein könnte?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe
einen Mann daran gesetzt, die Vermißtenkartei durchzugehen, aber das dauert. Um
die fragliche Zeit sind eine ganze Menge Leute verschwunden. Ehemänner, die nur
mal schnell Zigaretten holen wollten; Ehefrauen, die sich mit durchreisenden
Handelsvertretern eingelassen haben; Jugendliche, die sich nicht noch ein
weiteres Mal von ihrem besoffenen Alten durchprügeln lassen wollten. Ist nun
mal so, wenn den Leuten ihre Existenzgrundlage genommen wird.«
    »Diese Stadt ist in ziemlich schlechter
Verfassung, seit das

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