Feinde kann man sich nicht aussuchen
Werk geschlossen wurde.«
»Diese Stadt ist tot. Sie weiß es nur
noch nicht.«
Ich zog mein Notizbuch aus meiner
Handtasche. »Mein Klient... Hat Westerkamp schon gesagt, daß ich für T. J.
Gordon arbeite?«
Das Netz von Fältchen um Nancy Kolls
Augen vertiefte sich. »Hat er. Kann nicht sagen, daß ich sonderlich viel
Mitleid mit Gordon hätte, nach allem, was er uns angetan hat, aber trotzdem —
ist eine harte Sache, die eigene Frau auf diese Art zu verlieren. Und im
Unterschied zu den meisten Leuten hier bin ich mir darüber im Klaren, daß er
nur getan hat, was er tun mußte.«
»Demnach gibt es hier immer noch
Ressentiments gegen ihn. Ist da irgend jemand, von dem Sie sich vorstellen
könnten, daß er so weit ginge, ihn bis in den Westen zu verfolgen, um sich an
ihm zu rächen?«
»Niemand Konkretes. Glauben Sie, daß es
das war, was der Tote wollte?«
»Wenn ja, war er nicht der einzige. Er
kam vor über einem Jahr um, aber irgend jemand anders hat im August angefangen,
Gordon zu terrorisieren — ein paar Wochen, bevor sein Haus in die Luft flog.«
Ich blätterte in meinem Notizbuch und schob es ihr dann hin. »Das hier ist eine
Liste der Leute, von denen Gordon meint, daß sie eventuell dahinterstecken
könnten.«
Sie las die Namen durch, nickte dabei
ein paarmal. »Den ersten können Sie streichen — der ist tot. Selbstmord. Der
zweite war einer von diesen Ehemännern, die eben mal Zigaretten holen gingen.
Kann sein, daß er in den Westen gegangen ist, aber er hatte noch nie die
Ausdauer oder den Grips, irgend etwas konsequent duchzuziehen. Und der hier« —
sie zeigte auf den Namen — »Herb Pace. Das ist ein trauriger Fall.«
»Wieso?«
»Pace war Top-Manager bei Keystone, bis
Gordon ihn geschaßt hat. Lebte auf großem Fuß, hatte eine von diesen jungen Trophäen-Frauen.
Sie hat sich von ihm scheiden lassen und ihm alles aus der Tasche gezogen, was
er noch hatte. Er wohnt jetzt an der River Road, drüben auf der anderen Seite
der Bahn, und verbringt seine Zeit hauptsächlich in McGlennon’s Pub. Pace haßt
Ihren Klienten allerdings aus ganzer Seele, nur weiß ich zuverlässig, daß er
die Stadt schon seit ein paar Jahren nicht mehr verlassen hat. Aber vielleicht
möchten Sie ja trotzdem mal mit ihm reden, um ein bißchen
Hintergrundinformation über die Jahre zu kriegen, die Gordon hier war. Und
außerdem weiß er vielleicht, ob jemand mit solchen Rachegedanken tatsächlich
von hier verschwunden ist. Sie müssen nur aufpassen, daß Sie ihn vor Mittag
erwischen, solange er noch klar im Kopf ist.«
»Sonst noch jemand auf der Liste, der
in Frage käme?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und gab
mir das Notizbuch zurück. »Die übrigen sind alle noch hier, und von denen ist
keiner gerissen genug, um so was zu machen.«
Ich fragte nach Herb Paces Adresse und
notierte sie mir. »Fällt Ihnen sonst noch jemand ein, der mir ein bißchen was
über die Zeit der Keystone-Sanierung erzählen könnte?«
Nancy Koll schürzte nachdenklich die
Lippen. »Tja, vielleicht Amos Ritter. Der ist Schriftsteller. Schreibt dicke,
fette historische Romane, diese Taschenbuch-Schinken, die man sich für lange
Flugreisen kauft. Interessiert sich auch ziemlich für die Lokalgeschichte,
vielleicht könnte er Ihnen weiterhelfen. Wohnt in einem großen Backsteinhaus oben
auf dem Hügel — war mal das Haus von Raymond Lewis, einem der Gründer von
Keystone. Die genaue Adresse weiß ich nicht, aber es ist an der Crest Avenue;
jeder hier kann es ihnen zeigen.«
Ich notierte mir den Namen des
Schriftstellers. »Eine Frage noch, dann werde ich Ihre Zeit nicht länger in
Anspruch nehmen. Gibt es hier in der Stadt ein Motel?«
Nancy Koll lächelte mich mitleidig an.
»Nicht mehr. Am besten, Sie versuchen es mal bei Schmidt’s Guest House in der
Pearl Alley.« Sie beschrieb mir kurz den Weg. »Jeanny Schmidt führt das Ding
ordentlich, und billig ist es auch. Außerdem ist sie eine alte Klatschbase. Wer
weiß?« Sie zwinkerte. »Vielleicht kriegen Sie ja was raus, was ich noch nicht
weiß.«
Ich stellte fest, daß es in dieser
Stadt zwischen den eigentlichen Straßen eine Menge unasphaltierter kleiner
Sträßchen gab, die jedes einen Namen hatten. An einem davon fand ich Schmidt’s
Guest House, ein Stück zurückgesetzt und von zwei großen Ahornbäumen
abgeschirmt. Ich ging auf einem Laubteppich zu dem altmodischen Holzhaus; eine
Samenfrucht kreiselte herab und landete auf meiner Schulter. Auf dem College
hatte
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