Feinde kann man sich nicht aussuchen
Westen gegangen, in Ihre Stadt, an die San Francisco
State University, um kreatives Schreiben zu studieren. In meinem ersten
Studienjahr kamen meine Eltern mich besuchen; es dauerte nicht lange, bis ihnen
gewisse Besonderheiten meines Lebensstils auffielen. Sie schickten mir kein
Geld mehr, und ich konnte nur noch nebenbei studieren, weil ich jobben mußte,
um mich über Wasser zu halten. Sechs Jahre später saß ich immer noch in den
Schreib-Seminaren, und ich lebte mit einem Mann zusammen, der einen Lehrauftrag
an der State University in California angeboten bekam — das ist ein Stückchen
südlich von hier. Als er wegzog, ging ich mit.«
Ritter hielt nachdenklich inne. »Das
Problem in San Francisco war, daß ich mehr mit anderen jungen Schriftstellern
in Bars und Cafés herumhing, als selbst zu schreiben. Und wenn einer von uns
etwas schrieb, dann klang alles gleich. Ich dachte mir, wenn ich irgendwohin ging,
wo ich ganz fremd war, würde ich vielleicht endlich wie ich klingen. Und so war
es wohl auch — jedenfalls klinge ich jetzt bestimmt nicht mehr wie irgend
jemand anders. Manche Leute sagen, meine Bücher seien Kommerz-Schinken, und zu
einem gewissen Grad stimmt das sicher auch; aber es macht mir Spaß, sie zu
schreiben, und sie bringen mir genug ein, um dieses Gruselhaus hier zu
unterhalten, was soll ich mich da beschweren?«
Er prostete mir zu, und ich hob
ebenfalls mein Glas.
Ich sagte: »Ich nehme an, als Zugewanderter
haben Sie eine gewisse neutrale Distanz zu dem, was hier vorgeht.«
»In gewisser Weise schon. Sie sagten am
Telefon, daß Sie sich für das Keystone-Debakel interessieren. T. J. Gordon ist
Ihr Klient?«
»Ja.« Ich erläuterte ihm Suits’
gegenwärtige Situation.
»Ich habe von dieser Explosion gehört«,
sagte Ritter. »Es war ja bundesweit in den Nachrichten und natürlich auch in
den Boulevardblättern. Natürlich blühten hier die Spekulationen.«
»Ob vielleicht jemand dahintersteckte,
der von der Keystone-Geschichte betroffen war?«
»Klar. Nur sehr wenige Leute hier in
Monora kapieren wirklich, wie das mit dem Werk gelaufen ist. Der
Keystone-Vorstand und das Management waren ein Haufen kurzsichtiger
Dilettanten, die gar nicht merkten, wie weit sie den Laden heruntergewirtschaftet
hatten, bis es schließlich viel zu spät war. Die meisten von ihnen wollen es
bis heute nicht sehen — Herb Pace, der Ex-Direktor, ist ein gutes Beispiel.«
»Erzählen Sie mir von Herb Pace.«
»Er war der erste, der gefeuert wurde.
Ihr Klient kam hier an, und noch ehe er seine Sachen ausgepackt hatte, saß Pace
schon auf der Straße. Und um die Demütigung perfekt zu machen, ging dann auch
seine Ehe noch kaputt, als das Riesengehalt, das er sich selbst ausgezahlt
hatte, plötzlich nicht mehr kam.«
Also war Pace das Opferlamm gewesen.
»Und was ist aus den anderen Ex-Managern geworden?«
»Die, die noch hier in der Gegend
wohnen, sind im Ruhestand und leben von ihren Investment-Renditen. Andere haben
irgendwo anders Jobs gefunden. Solche Leute können noch so viel Schaden
anrichten und fallen doch immer wieder auf die Füße.« Er hielt nachdenklich
inne. »Aber die Gewerkschaften haben bei dem ganzen Debakel auch keine
besonders hehre Rolle gespielt. Die Ortsgruppe der Stahlarbeitergewerkschaft
hat überzogene Forderungen gestellt, und als sie nicht erfüllt wurden, hat sie
mit dreckigen Methoden operiert. Ihr Klient kam genau im kritischsten Moment
hierher, und eine Zeitlang sah es aus, als würde er einen Streik oder sogar
einen Aufstand am Hals haben. Aber dann wurde der hiesige
Ortsgruppenvorsitzende, Ed Bodine, beim Dealen mit Drogen erwischt und ins
Gefängnis gesteckt. Danach brach der Widerstand der Gewerkschaft mehr oder
weniger zusammen.«
»Wann wurde Bodine verhaftet?«
»Kurz nachdem Gordon den Laden
übernommen hatte. Wegen Handelns mit Kokain. Er behauptete, das Zeug sei ihm
untergeschoben worden, aber mehrere überaus reputierliche Leute, darunter sogar
ein Mitglied seiner eigenen Gewerkschaft, sagten gegen ihn aus.«
»Wissen Sie irgendwelche Namen?«
Ritter dachte nach, schüttelte dann den
Kopf. »Nicht mehr.«
Ich notierte mir im Geist, daß ich
Nancy Koll nach Bodines Verhaftung und dem Prozeß fragen mußte.
Ritter stand auf, um uns Sherry
nachzugießen. »So, wie ich die Sache sehe«, fuhr er fort, »war Gordon ein Mann
mit einem schwierigen Job — im Grund schon fast einem unmöglichen Job — , und
er legte los und zog die Sache durch. Unglücklicherweise
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