Feindfahrt
weitergab , setzte eifrige Geschäftigkeit ein. Vorn ließ ein Matrose das Vorluk fallen , vier weitere zogen kräftig an der Falleine , und
langsam ging der Besan hoch. Sekunden später ertönte ein
lautes Rasseln: Die Ankerkette glitt über das Deck. Gleich darauf
hörte man ein Klatschen.
Richter stand bereits am Ruder , vorderhand schien jedoch nichts zu geschehen. Dann sah Schwester Angela , emporblik kend , durch eine Lücke in den Wolken helle Sterne am Klüver vorbeiziehen.
»Wir fahren , Herr Kapitän! Wir fahren!« rief sie , glücklich wie ein Kind.
»Ich hab's bemerkt« , antwortete Berger trocken. »Würden Sie sich jetzt freundlichst unter Deck bemühen?«
Sie gehorchte widerwillig. Seufzend wandte sich Berger an den Bootsmann. »Kurs halten , Richter. Sie übernehmen.« Richter steuerte die Deutschland durch die Hafeneinfahrt. Sie glitt dahin wie ein bleiches Gespenst , langsam und lautlos , ein leicht phosphoreszierendes Kielwasser hinter sich herziehend.
Fünf Minuten darauf , als Capitän Mendoza in seiner Nische im Lichter von Lissabon m it einer jungen Dame aus dem benach barten Etablissement eine Partie Whist spielte , kam der Mann , den er zur Beobachtung der Fischereipier abgestellt hatte , her eingeplatzt. »Was ist?« erkundigte sich Mendoza freundlich. »Die Deutschland, Senhor Capitän« , flüsterte der Posten. »Sie ist verschwunden.«
»Na also!« Mendoza legte sein Blatt
verdeckt auf den Tisch und erhob sich. »Laß die Karten
nicht aus den Augen , Jose«, rief er dem
Barkeeper zu. Dann nahm er Mütze und Ölmantel und ging
hinaus. Als er das Ende der Fischereipier erreichte , fiel
der Regen wie ein undurchdringlicher Vorhang. Mit schüt zend um
die Flamme gelegten Händen steckte er sich trotzdem eine Zigarre
an und blickte in die Nacht hinaus.
»Werden Sie die Behörden informieren , Senhor?« fragte der Wachtposten.
Mendoza zuckte gleichgültig die Achseln.
»Was gibt es da zu informieren ? Capitän Berger wollte
zweifellos ein wenig frü her als sonst nach Rio aufbrechen. Er
wird dort heute in acht Tagen erwartet , obwohl es bei ihm nicht selten vorkommt , daß er eine Woche länger braucht , weil das Wetter um diese Jah reszeit unberechenbar ist. Dann ist immer noch Zeit für eine offizielle Untersuchung.«
Der Posten musterte ihn zweifelnd , nickte aber zustimmend. »Wie Sie meinen , Senhor Capitän.«
Der Mann entfernte sich , und
Mendoza blickte über das Wasser zur Mündung des Amazonas und
zum Atlantik hinüber. Wie weit bis Deutschland? Nahezu
fünftausend Meilen über einen Ozean , der
sich unwiderruflich in der Hand der amerikanischen und britischen
Kriegsmarine befand. Und womit? Mit einer Dreimast-Schonerbark , die ihre Blütezeit längst hinter sich hatte.
»Toren« , sagte er sehr leise. »Arme , du mme , bewundernswerte Toren!« Dann drehte er sich um und ging im Regen zu der Kneipe zurück.
2
Schonerbark DEUTSCHLAND, 9. September 1944. 25
° 01' nördl. Breite, 30° 46' westl. Länge. Vierzehn
Tage hinter Belém. Wind NW 6-8. Nach dem Log machen wir
zwölf Knoten. In den letzten vierundzwanzig Stunden
zweihundertachtundzwanzig Meilen zurückgelegt. Frau Prager noch
immer seekrank in ihrer Koje - seit dem Auslaufen aus Belém.
Wird zunehmend schwächer, macht uns große Sorgen. Gegen
Abend heftiger Regen.
Die Frühwettervorhersage für das
Seegebiet um die Hebriden war alles andere als günstig:
Windstärke fünf bis sechs mit starken Schauern. Vor der
Nordwestküste von Skye waren die Wetterbedingungen so schlecht , daß es kaum noch schlimmer ging: Am Horizont stiegen schwere , dunkle , prall mit Regen gefüllte Wolkenberge auf.
Abgesehen von einem Seevogel war nur ein einsames Wasser fahrzeug draußen , ein
Kanonenboot mit Kurs Südwest auf die Insel Barra, die
Stars-and-Stripes-Flagge der einzige Farbtupfer im Grau dieses Morgens.
Sonnenaufgang war um sechs Uhr fünfzehn, um
neun Uhr dreißig war die Sicht jedoch noch immer so schlecht,
daß die Royal Air Force nicht aufsteigen konnte. Daher war es
keinem Besatzungsmitglied an Bord des Bootes zu verübeln , daß die einsame Ju 88 S , die dicht über dem Wasser von achtern he rankam , unentdeckt blieb.
Die erste Salve ließ backbords in zehn bis
fünfzehn Meter Ent fernung riesige Wasserfontänen aufsteigen.
Beim zweiten An flug zerfetzte ein Feuerstoß aus dem 13-mm-MG des
Flug zeugs die Decksplanken hinter dem Ruderhaus.
Harry Jago, der in seiner Koje lag und eine Mütze voll Schlaf zu finden
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