Feindgebiet
solche Lügen verbreiteten«, fuhr Cristata fort. »Außerdem sehe ich keinen Sinn darin, länger als nötigen dieser Stadt zu bleiben, einem schrecklichen Ort voller Vorschriften und Uniformen.«
»Es könnte zum Beispiel dazu beitragen, dass Sie am Leben bleiben«, schlug Sten vor.
»Das Leben wird vom Erhabenen gegeben und genommen. Dabei spielt es kaum eine Rolle, was davon das größere Geschenk ist.«
Wieder biss Sten heftig die Zähne zusammen.
»Außerdem ist Ihnen die Lehre des Erhabenen nicht vollends ins Bewusstsein gedrungen. Nur diejenigen, die in Verbundenheit mit der Erde leben, die den falschen Mammonberufen aus dem Weg gehen und erkannt haben, dass unser aller Pflicht darin besteht, anderen zu helfen, können das verstehen, und diese werden uns Schutz gewähren.«
Sten erinnerte sich daran, wie er vor langer Zeit mit seinem Mantis-Team von angeblich unbeteiligten Bauern mehrere Tage lang quer durch das Land gejagt worden war, und entgegnete nichts.
»Ich hatte gehofft, Horatio«, endete Cristata traurig, »dass Sie meine Botschaft verstehen und sich uns anschließen würden. Aber das haben Sie nicht getan.
Wir können nur dafür beten, dass diejenigen, die sich dessen bedienen, was uns der Erhabene hat zukommen lassen, die Wahrheit in ihren eigenen Herzen finden und, sobald sie in die Freiheit zurückgekehrt sind, anfangen, das Licht der Erkenntnis zu predigen.«
Nachdem sich Sten verabschiedet hatte, blieb ihm nichts anderes übrig als zu hoffen, dass Cristata und seine drei Freunde so sehr auffielen, dass sie die Verfolger von den echten Ausbrechern ablenkten und einen schnellen und sauberen Tod fänden.
St. Clair wartete, bis sich die Tür hinter Sten geschlossen hatte, bevor sie L’n ansah. Sogar bei dieser trüben Beleuchtung konnte sie erkennen, wie L’ns »Hände« zuckten.
»Du musst gehen«, sagte L’n schnörkellos.
›Ja‹, dachte St. Clair. ›Ich muss gehen. Ich werde schon langsam verrückt hier drin. Das war dann Fluchtversuch zweiundzwanzig? Oder schon vierundzwanzig?‹ Sie wusste noch genau, dass sie bis einundzwanzig mitgezählt hatte, doch dann hatte sie nicht mehr genau wissen wollen, wie viele Versuche noch scheiterten.
Diesmal musste es klappen.
Wenn nicht, dann sah St. Clair schon klar und deutlich vor sich, wie sie plötzlich mitten im Appell auf den Draht zurannte und erschossen wurde.
Bislang hatte sie sich dazu gezwungen, in einem Schmierentheater mitzuspielen, nur weil es das einzige Stück war, das geboten wurde. Doch die Chancen, ruhig abzuwarten, bis die Sterne günstiger standen, wurden immer schlechter.
Und L’n?
Zumindest konnte sie sich auf Sten verlassen. Sie würde schon überleben, redete sich St. Clair ein.
Schließlich war sie, St. Clair, keine Waise. Sie war der Aal. Eine Einzelkämpferin, eine Spielerin. Sie brauchte nichts und niemanden.
Oder doch?
Kapitel 25
Lady Atagos Brillanz war ein Spiegelbild der Herrlichkeit der Tahn – ebenso wie ihres Versagens.
In Kriegszeiten waren ihre Pläne sorgfältig bis ins letzte Detail ausgearbeitet. Wenn diese Pläne mitten in der Schlacht schiefgingen, entwickelten sich die Tahn zu wahren Genies der Improvisation. Sie konnten, was sie auch taten, aus den verstreutesten Truppenteilen rasch neue Einheiten zusammenstellen, erneut an die Front werfen und so unverhofft Schlachten gewinnen.
Die kulturell vorprogrammierte Verbissenheit ihrer Krieger, die ihnen vorschrieb, lieber im Kampf zu sterben als zu weichen, tat ein übriges. Was den Tahn jedoch fehlte, war die Fähigkeit, einen Plan abzuändern, sobald er offiziell verabschiedet wurde.
Lady Atago ging in ihrem strategischen Lageraum auf und ab. Ihre Stiefelabsätze klackten in der Stille unnatürlich laut.
Dabei hätte sie eigentlich den Kommandeuren der zwölf Schlachtflotten letzte, genaue Anweisungen für den schrittweise erfolgenden Angriff auf Durer geben sollen. Der Lageraum war komplett dafür ausgerüstet, in seiner hemisphärischen Kuppel jedes einzelne Detail darzustellen, von allgemeinen strategischen Bewegungen bis zur Position des kleinsten Patrouillenboots.
Statt dessen hatte man Atago von höchster Stelle aus angewiesen, die Sitzung aufzuschieben und abzuwarten.
In einem weiteren Befehl – STRENG PERSÖNLICH – war ihr mitgeteilt worden, dass der Vorsitzende des Tahn-Rats, Lord Fehrle, um das Privileg einer persönlichen Unterredung mit der Kommandantin der Raumflotten gebeten hatte.
Atago hatte lediglich mit
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