Feindgebiet
sollte sich so schnell wie möglich nach Koldyeze aufmachen. Dort sollte er mit den Männern seines Stabes, denen er am meisten vertraute, die Stellung halten. Sie sollten verhindern, dass den Gefangenen etwas geschah, während sie die Landung der Imperialen Truppen erwarteten. Und dann sollte Pastour sich im Namen seines Volkes ergeben. Einen Moment lang dachte Pastour, er würde dem, was ihm bevorstand, den Tod vorziehen. Dann erinnerte er sich an Lady Atago und an das, was ihr Tod heraufbeschworen hatte. Der Augenblick ging vorüber und Pastour gab Lemay seine Anweisungen.
Sergeant Major Schour wurde die Ehre zuteil, als erstes Mitglied der Imperialen Invasionstruppen einen Tahn-Bauern anzusprechen. Schours Transportschiff war Teil der Rückendeckung der Landungsflotte des 1. Garderegiments, das soeben ein Stück außerhalb von Heath gelandet war.
Ihr Lieutenant hatte sich dafür ein hübsches, weiches, grünes Feld ausgesucht. Sergeant Major Schour war die erste aus der ganzen Kampftruppe, die feindlichen Boden betrat. Auf ihren kurzen, muskulösen Beinen ging sie langsam die Rampe hinunter. Mit der Willygun im Anschlag suchte sie die Umgebung nach feindlichen Aktivitäten ab.
»Geh aus meinen Knollen raus!« krächzte jemand.
Sergeant Major Schour wirbelte herum. Ihre Finger krallten sich um den Abzug.
Dann sperrte sie den Mund auf. Vor ihr stand eine kleine, untersetzte Person in der blaßgrünen und braunen, groben Kleidung der Tahn-Bauern. Unter dem Ding, das Schour für die Nase des Geschöpfes hielt, zitterten aufgeregt rosafarbene Lockenhaare. Besagter Bauer fuchtelte vor den Augen der überraschten Unteroffizierin angestrengt mit einer Hacke herum. Schour fiel auf, dass das Geschöpf pelzig war und dass sich am Ende der endlos langen Unterarme kräftige Krallen befanden.
»Was redest du da für einen verdammten Blödsinn?« war alles, was Schour erwidern konnte.
»Fluch nicht in meiner Gegenwart«, sagte der Laienprediger Cristata. »Der Erhabene kann Fluchen nicht ausstehen.« »Oh, tut mir leid«, stotterte Schour. »Aber was –«
Sie verstummte staunend, als noch mehr »Bauern« auf der Bildfläche erschienen. Drei von ihnen, sie trugen ebenfalls die grünlichbraune Kleidung, waren offensichtlich Bürger des Imperiums. Die anderen mussten Tahn sein. Friedliche Tahn. Sten wäre sehr überrascht gewesen, hätte sich dann aber angesichts der Tatsache, wie wundersam für Cristata alles nach Plan verlaufen war, bestimmt königlich amüsiert. Der Laienprediger war nicht nur entkommen, er hatte sogar ein ganzes Tahn-Dorf bekehrt.
»Gehen Sie jetzt wohl aus meinen Knollen heraus, oder soll ich mich bei Ihrem Vorgesetzten beschweren?« fragte Cristata.
Alles, was der verdutzten Schour jetzt noch einfiel, war: »Wissen Sie nicht, dass wir uns im Krieg befinden?«
Cristata zeigte sich unbeeindruckt und schnaufte. »Krieg ist, wie Regierungen überhaupt, etwas für die unteren Schichten«, sagte er. »Beides ist bei uns streng verboten. Wir, die wir uns im Widerschein des Erhabenen sonnen, beteiligen uns nicht an solchen Trivialitäten.«
Die anderen Bauern murmelten zustimmend und fuchtelten dabei nachdrücklich mit ihren Hacken herum. Schour blieb nichts anderes übrig, als den Mund aufzureißen, zu schwitzen und zu stottern. Cristata hatte Mitleid mit ihr. Er legte seine Hacke auf den Boden und ging auf Schour zu.
»Sie sehen sehr müde aus«, sagte er freundlich.
»Vielleicht könnte dieser demütige Jünger des Erhabenen Ihnen helfen, Ihre Seele von der großen Last zu befreien.«
Und schon machte sich Cristata daran, Sergeant Major Schour vom Ersten Imperialen Garderegiment der Schar seiner Gläubigen einzuverleiben.
Wichman war Pastours plötzliche Krankheit schon sehr verdächtig vorgekommen, ebenso wie dessen Entscheidung, seine öffentlichen Funktionen einzuschränken. Die Berichte von Pastours immer häufigerer Anwesenheit auf Koldyeze hatten Wichmans Verdacht nur noch verstärkt. Als schließlich der junge Aufseher mit dem offenen Gesicht, den er in Pastours Truppe eingeschleust hatte, ihm von einer mysteriösen Nachricht berichtete, und dass sich der Colonel unverzüglich mit seiner Truppe in Richtung Kloster in Bewegung gesetzt hatte, war es nicht mehr schwer, eins und eins zusammenzuzählen: Pastour hatte vor, die Gefangenen von Koldyeze zu beschützen. Aber warum nur? Welchen Vorteil konnte Pastour wohl daraus ziehen? Als das nächste Puzzleteilchen des Rätsels offenkundig
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