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Feindgebiet

Titel: Feindgebiet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allan Cole & Chris Bunch
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L’n brauchte Dunkelheit, um sich wohl zu fühlen; draußen im grellen Licht der Tahn-Sonne war sie fast hilflos. Nach und nach gewöhnte sich St. Clair daran, L’n bei kleinen Verrichtungen zur Hand zu gehen: sie führte sie in die Kantine, suchte Werkzeuge, die sie im Gleißen der Spätnachmittagssonne nicht mehr finden konnte, und holte sie wieder in die Wirklichkeit zurück, wenn sie von einem eigenartigen Lichterspiel hypnotisiert wurde.
    Kurz gesagt, St. Clair entdeckte an sich ganz überraschend, dass sie anfing, ein anderes Lebewesen zu mögen. L’n verwandelte sich für sie in die seltsamste Kreatur überhaupt – in einen Freund.
    Es bedurfte allerdings einiger harter Arbeit, besonders was L’ns Verhältnis zu diesem kleinen Drecksack Horatio anging, der im Selbstgefühl seiner Autorität beinahe platzte. So wie L’n von ihm sprach, handelte es sich bei dem Mann praktisch um einen Heiligen. Dann erfuhr St. Clair die Geschichte von Lance Corporal Hansen, und sie begriff, dass Hansen und Horatio für L’n ein und dieselbe Person geworden waren, eine austauschbare Heldenfigur. Es war alles, was L’n tun konnte, um in der Enge und dem Lärm des Gefängnisses bei Verstand zu bleiben.
    Sie hatte Heimweh nach den friedlichen Wäldern ihres Heimatplaneten. L’n versank immer länger in diesen Erinnerungen, während ihr die harsche Wirklichkeit des Lagers immer unerträglicher vorkam. Ohne Sten – zumindest ohne das Bild, das sie von Sten hatte – wäre L’n womöglich schon in einen stillen, einsamen Wahnsinn verfallen.
    St. Clair hatte sich geschworen, das zu verhindern. Sie wollte L’n dazu bringen, allein zurechtzukommen, und wenn es das letzte war, was sie vor ihrer Flucht tat.
    »Sag mal, L’n«, fragte sie, »du interessierst dich doch für Licht? Hast du schon jemals diesen berühmten Lichtturm auf der Erstwelt gesehen?«
    L’n hielt mitten im Zeichnen inne. »Meinst du den, den die beiden Milchen errichtet haben? Ich glaube, Marr und Senn heißen sie.«
    »Genau den.«
    »Nur auf Bildern«, antwortete L’n, »nicht richtig.«
    »Oh, dann warst du also noch nie auf der Erstwelt. Wenn diese Geschichte hier ausgestanden ist, könnten wir ja mal zusammen hinreisen.«
    »Doch, ich war schon dort. Damals habe ich sogar erfahren, dass in diesem Turm eine große Party stattfinden sollte. Das wäre bestimmt wundervoll gewesen!«
    »Warum bist du nicht hingegangen?« fragte St. Clair.
    »Ich hatte keine Einladung.«
    St. Clair wollte ihren Ohren nicht trauen. »Das ist doch kein Grund. Das hättest du ganz einfach deichseln können. Ich habe so was schon oft gemacht! Bei einer Party von Marr und Senn fällt doch keinem auf, ob du tatsächlich eingeladen bist oder nicht.«
    L’ns Seufzer drückte eine Mischung aus Hoffnungslosigkeit und Neid aus. »Einfach in eine Party reinplatzen. Davon habe ich schon immer geträumt. Du weißt schon, die neue L’n. Forsch. Entschlossen. Wagemutig. Eine L’n, die auf einer Party aufkreuzt, als wäre es ihre eigene. So auftreten, dass einen alle für berühmt halten, nur weil man so selbstsicher wirkt und sich keiner traut zu fragen, weil sie ihre Unwissenheit nicht auch noch publik machen wollen.« Sie schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Ein einziger Blick in meine großen, hässlichen Augen genügt, um sie davon zu überzeugen, dass ich ein Niemand bin.«
    St. Clair sah sie bestürzt an. »Wovon redest du überhaupt? Hässliche Augen?«
    L’n zuckte mit den Schultern. Das Schulterzucken derjenigen, die sich mit einer unangenehmen Tatsache arrangiert haben.
    »Ich will dir mal eins sagen, Mädchen«, verkündete St. Clair schließlich. »Du und ich, wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns. Zuerst fangen wir mit deiner Vorstellung von schön und hässlich an, und dann arbeiten wir uns bis zum Partyplatzenlassen hinauf.«
    L’n kicherte, als hätte St. Clair gerade einen Scherz gemacht. Aber St. Clair wusste es besser. Sie hatte soeben ein Versprechen gegeben. Und St. Clair war eine Frau, die zu ihrem Wort stand.

 
Kapitel 24
     
    »Durchgezählt«, verkündete Virunga und wiederholte damit Isbys Meldung. Dann drehte er sich um, salutierte vor Genrikh und brüllte: »Alle Gefangenen angetreten.« Er wartete eine Sekunde, bevor er hinzufügte:
    »Sir.«
    Selbst Genrikh fand keinen Grund, den nachmittäglichen Anwesenheitsappell unnötig in die Länge zu ziehen. Er nickte und marschierte mit großen Schritten in Richtung Verwaltungstrakt zurück. Virunga

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