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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Sie diese Virago.« Einen Augenblick lang war Emmelia zu schockiert, um darauf zu antworten. Noch nie hatte es jemand gewagt, so mit ihr zu reden. Als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte, schob man sie bereits aus dem Gerichtssaal.
    »Virago, wahrhaftig«, schrie sie zurück. »Ich gehe davon aus, daß Sie wissen, daß ich Miss Petrefact bin. Und dies hier ist eine Travestie der Gerechtigkeit. Ich bestehe darauf, gehört zu werden.«
    Doch schon schlossen sich die Saaltüren hinter ihr. »Rufen Sie den nächsten Zeugen«, sagte der Richter. Wenig später sagte Mr. Groce, der Wirt des Pferdekutschers, aus, Willy Coppett habe in seiner Gegenwart behauptet, daß der Angeklagte ein Verhältnis mit seiner Frau, Mrs. Rosie Coppett, habe. Aber Yapp hörte gar nicht zu. Er war zu sehr mit der seltsamen und ihm irgendwie bekannten Frauengestalt beschäftigt, die von der Zuschauergalerie heruntergeschrien hatte. Sie hatte behauptet, Miss Petrefact zu sein, und Yapp hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, doch ihre Stimme ... Irgendwo hatte er diese Stimme schon mal gehört. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Bestehen blieb die Tatsache, daß sie die Verhandlung als eine Travestie der Gerechtigkeit bezeichnet hatte. Und genau das war sie. Nur brachte die Tatsache, daß ein Mitglied der Familie Petrefact dies öffentlich im Gerichtssaal erklärte, seine ganze Theorie von einer Verschwörung gegen ihn ins Wanken. Während er sich noch mit diesem unlösbaren Problem herumschlug, war der Vertreter der Anklage mit Mr. Groces Befragung fertig.
    »Hat die Verteidigung noch Fragen an diesen Zeugen?« fragte Lord Broadmoor. Yapp schüttelte den Kopf, und Mr. Groce verließ den Zeugenstand.
    »Rufen Sie Mr. Parmiter.« Der Autohändler trat in den Zeugenstand und bestätigte, was Mr. Groce gesagt hatte. Auch an ihn hatte Yapp keine Fragen.
    In dieser Nacht wurde Yapp in seiner Zelle von Zweifeln heimgesucht, denen er ein Leben lang ausgewichen war. Er empfand Emmelias Intervention als bedrohlicher als die Frage, ob es ihm gelingen würde, seine Unschuld in diesem Mordfall zu beweisen; denn sie stellte eben jenes soziale Dogma in Frage, auf dem seine Unschuld beruhte. Ohne eine Verschwörung nämlich gab es keinen vernünftigen Grund für seine mißliche Lage, keinen konkreten, sozialen Fortschritt und keine historische Gewalt, denen zuliebe er hier litt. Statt dessen wäre er dann das Opfer einer zufälligen und chaotischen Verknüpfung von Umständen, die zu erklären seine Möglichkeiten überstieg. Zum erstenmal in seinem Leben fühlte sich Yapp mutterseelenallein in einem bedrohlichen Universum. So war es ein recht verhärmter Gelehrter, der am nächsten Morgen in der Anklagebank stand und Lord Broadmoors wiederholte Aussage, daß die Verteidigung jetzt das Wort habe, mit verzweifeltem Kopfschütteln beantwortete. Als die Geschworenen zwei Stunden später mit dem Urteil ›schuldig‹ zurückkehrten, wandte sich der Richter erneut an Yapp. »Haben Sie noch etwas zu sagen, bevor das Urteil verkündet wird?«
    Yapp fühlte sich schwindlig. Er versuchte, sich die Verdammung des sozialen Systems und der kapitalistischen Ausbeutung, die er so sorgfältig vorbereitet hatte, ins Gedächtnis zu rufen. Aber es ließ ihn im Stich. »Ich habe in meinem Leben noch niemanden umgebracht, und ich weiß nicht, warum ich hier bin«, stieß er statt dessen mühsam hervor. Unter den Zuschauern war Emmelia, inkognito unter Hut und Schleier, die einzige, die ihm glaubte. Am allerwenigsten glaubte ihm Lord Broadmoor. Nachdem er eine Reihe scharfer und ganz beziehungsloser Angriffe auf die Gefahren der Weiterbildung für die arbeitende Klasse, Professoren ganz allgemein und Studentenproteste losgelassen hatte, verurteilte er Waiden Yapp zu lebenslänglicher Haft und begab sich heiteren Mutes zum Lunch.

Kapitel 25
    Während Waiden Yapp ins Gefängnis gebracht wurde, um seine Strafe anzutreten, fiel das Leben in Buscott wieder in seinen Trott zurück. Zwar hatte Mr. Jipson einen zwanghaften Eifer entwickelt, seinen Traktor zu putzen und ihn sofort wieder zu verdrecken, und Willy wurde unter dem Tresen des Pferdekutschers gelegentlich vermißt, aber ansonsten blieb Buscott die kleine, blühende Stadt, zu der es sich entwickelt hatte, seit Frederick den schlüpfrigen Phantasien seiner Kunden auf anonymem Weg Nahrung verschaffte.
    Für Emmelia allerdings hatte sich die Situation drastisch verändert. Nach ihrem unfreiwilligen Abgang aus dem Gerichtsgebäude

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